Events | 25.09.2020
Herzklopfen der schönsten Sorte

Es klang abstrakt, als eine großartige Regisseurin noch im März im Interview darüber grübelte, wie wohl die Wirkung sei, wenn Schauspieler*innen auf ein Publikum in Masken blicken. Das schien damals unendlich weit weg.
Mehr als ein halbes Jahr später ertappe ich mich mit Mund-Nasen-Schutz und in durchdacht lückenhaft gefüllten Sesselreihen im Theater – mit Herzklopfen. An den Anblick hat man sich längst gewöhnt, das wirkt nicht mehr so beängstigend. Das rasende Herz gilt einer Aufregung der schönsten Sorte: der Vorfreude auf eine Produktion am Landestheater St. Pölten, nachdem das Haus mehr als ein halbes Jahr pausieren musste.
„Aus dieser kleinen Auferstehung des Theaters“, sagte Intendantin Marie Rötzer nach dem bebendem Schlussapplaus und den Bravorufen, „hat Ruth Brauer-Kvam ein überbordendes Theaterfest gemacht, dafür hat sie alle Effekte auspacken dürfen“. Weder Sekt noch Brötchen brauchte diese Premiere, das Spektakel entfaltete sich in 90 Minuten auf der Bühne. Und was das für ein Spektakel war!
Seit vielen Jahren steht Ruth Brauer-Kvam auf der Bühne und vor der Kamera, ihr Regiedebüt zelebrierte sie vor gut zwei Jahren. Was sie aus Molières „Die Schule der Frauen“ und Versatzstücken aus anderen Werken kreierte, ist genial. Da sind rasante Wortwechsel, köstlich komische Missgeschicke und Erkenntnisse zum Hinters-Ohr-Schreiben. „Sie können mein Herz nicht dirigieren wie ein Orchester“, sagt etwa die Salondame Uranie zum Dirigenten Climène (wunderbar: Emilia Rupperti und Michael Scherff).
Mit den Gesprächen der beiden – dazu gibt es Untertitel-Projektionen wie bei einem Stummfilm (Bühne: Monika Rovan) – umrahmt Brauer-Kvam geschickt das Kerngeschehen, das bloß auf den ersten Blick Herzschmerz fokussiert. Darunter brodelt Molières Gesellschaftskritik, die zunächst den patriarchalischen Mann vorführt, aber dann den Menschen allgemein, der sich nur zu oft von „falschen“ Gefühlen leiten lässt. Was das anbelangt, scheinen wir eine ganz schön lange Leitung zu haben, wurde das Stück doch bereits 1662 uraufgeführt. Eine Brücke zur Gegenwart – und leider selbst zu aktuellen Schlagzeilen – lässt sich leicht schlagen, wenn es etwa heißt: „Sie lieben mich nicht, wie man lieben sollte, Ihre Leidenschaft kommt aus Wut und Angst.“
Sich über menschliche Unzulänglichkeiten zu grämen, dazu kommt man bei Ruth Brauer-Kvams Inszenierung aber gewiss nicht; dafür gibt’s zu viel zu sehen, zu hören und zu lachen.
Die famose Musikerin Ingrid Oberkanins lässt eine Juke Box vor Neid erblassen; von harmonischen Melodien quasi bis hin zum Department Special Effects beherrscht sie die gesamte klingende Palette an dem Abend. Tilman Rose, umhüllt von einem grotesk riesigen Kunstpelzmantel (tolle Kostüme: Ursula Gaisböck), gibt einen herrlich herrischen Arnolphe, Laura Laufenberg entwickelt sich fabelhaft und überzeugend von der naiven zur selbstsicheren Agnès, Philip Leonhard Kelz ist ein köstlicher Liebhaber Horace. Zwischen ihren vielen Rollen – von Notar bis altes Weib – switchen sagenhaft komisch Tim Breyvogel und Tobias Artner.
Hier gibt es nur noch eines zu sagen: Keinesfalls verpassen!
