Lifestyle | 21.05.2019
Wo bleibst du?
Da waren zwei Wege, die sie lockten: einer ins Rampenlicht und einer, der hinter die Kulissen realer Welten führt. Wenngleich Aglaja Przyborski das Talent für Schauspiel bestätigt wurde, entschied sie sich doch für die Psychologie (siehe Kurzbio). Wir treffen an der neuen Bertha von Suttner Privatuni in St. Pölten die Psychotherapie-Professorin, die ihren Ausgleich in Yoga findet. Die erste Einheit vor 15 Jahren war ein Geschenk einer langjährigen Freundin. „Ich habe sofort Feuer gefangen“, lacht sie.
NIEDERÖSTERREICHERIN: Was entfachte das Feuer?
Aglaja Przyborski: Der ausgleichende Effekt auf den gesamten Organismus. An einem Tag, der mit Yoga beginnt, kann mich nichts mehr total aus der Ruhe bringen. Yoga fördert die Lebensfreude und die Öffnung des Blicks für die Schönheit der Welt. Meditation hilft überall; ich habe gelernt, mich zu fokussieren – sei es in stressigen Zeiten oder selbst in einem vollen Warteraum. Bei Yoga ist keine Leistungssystematik inbegriffen; man arbeitet mit seinen Möglichkeiten – ohne den vergleichenden Blick auf die andere Matte. Andere können inspirieren, aber es geht nicht darum, besser oder schlechter zu sein.
Also das Gegenteil von dem, das auf Social Media Trend zu sein scheint … ?
Ich habe mich lange der Jugendforschung gewidmet. In dieser Phase ist der Mensch habituell verunsichert. Das heißt: Selbstverständlichkeiten, in die er hineingeboren worden ist, werden fragwürdig – nicht zuletzt aufgrund der körperlichen Veränderungen. Wir leben noch immer in einer zweiwertigen Gesellschaft; es gibt weiblich und männlich. Sich hier einzuordnen, kann als Sicherheit oder als Zwang erlebt werden. In der Jugend entstehen dabei eine Verunsicherung und eine Suchbewegung. Da sind Identitätsnormen wie Mutter, Vater, rollenspezifische Normen – und viele Widersprüche.
Männer sollen heute supererfolgreich sein, gleichzeitig reflektiert und einfühlsam. Wie aber sollen sich schnelles Entscheiden und langes Reflektieren ausgehen? Ähnlich verhält es sich mit Superwoman-Vorstellungen, wenn Frauen Model, Mama und was weiß ich, was noch alles sein sollen. Mit den Jahren findet man einen routinierten Weg, sich zu diesen Bildern zu verhalten; in der Jugendphase ist das schwierig. Da sind Identitätsnormen wichtig, sie werden bewertet, durch das eigene Sein kommentiert. Wie beispielsweise auf Instagram. Die Geschichten dort sind Spiele mit Identitätsnormen.
… die nicht nur Junge spielen …
Die „Jugendphase“ scheint sich länger zu ziehen. Wir sprechen ja auch von Life Long Learning, haben kaum fixe Berufsbilder mehr, zudem eine hohe gesellschaftliche und lokale Mobilität. Es kommt häufiger zu Veränderungen und damit zu Phasen der Verunsicherung bzw. zu Suchbewegungen.
Wieso mögen wir Social Media?
Sie reduziert Komplexität, die heute im Alltag immer mehr wird. Es ist super, wenn ich dann einfach sagen kann, etwas ist gut oder schlecht. Auch ein Psychotest, den wir auf den ersten Blick durchschauen, kann entspannend sein. Es bedeutet ebenso eine Reduktion von Komplexität – wie ein Fußballspiel, das zwar komplizierte Regeln haben kann, aber im Endeffekt geht es darum, wer mehr Tore schießt. Wir haben hier überall zweiwertige Logiken, die einer mindestens dreidimensionalen Welt mit der gesamten Komplexität gegenüberstehen. Das ist angenehm, aber auch eine Falle, weil es zu Verwechslungen kommen kann. Man kann aber nicht einfach sagen, diese Medien sind allein schuld. Sondern: Je mehr Bedeutung ihnen gegeben wird, desto verhängnisvoller wird es, sich in diesen versimplifizierten Welten zu bewegen.
Was ist der richtige Umgang?
Ich halte die Möglichkeit, sich Bilder von anderen anzuschauen und sie zu bewerten weder für gut noch für schlecht. Das ist komplexer. Was ich für gefährlich erachte ist, dass wir mit jedem „Vote“, den wir im Internet abgeben, den Datenmoloch füttern. So lässt sich schnell herausfinden, wie Menschen politisch einzuordnen sind. All das wird für Big Data-Analysen bzw. für Kommunikationsstrategien verwendet, es wird die Masse manipulationsanfälliger. Deswegen gebe ich praktisch nie ein Like ab.
Sie beschäftigen sich mit dem Spannungsfeld zwischen Selbstoptimierung und Selbstverletzung in der digitalen Welt. Was ist hier gemeint?
Bilder zu machen, zu bearbeiten, zu verteilen ist heute viel leichter, der Blick auf die Zweidimensionalität damit stärker. Auch früher verglichen wir uns damit, wie Frauen auf Plakatwänden dargestellt werden – aber allein im Spiegel. Heute können wir uns im Bild vergleichen und inszenieren. Zur Selbstoptimierung werden Filter verwendet oder in weiterer Folge Selftracking-Tools, die beispielsweise die Schritte zählen. Die Frage ist: Hilft mir das im positiven Sinne, den inneren Schweinehund zu besiegen oder führt es von mir weg, so dass ich selbst nicht mehr beurteilen kann, ob mir etwas gut tut oder nicht. Ein sklavisches Sich-an-Programme-Halten kann der Weg zur Selbstverletzung sein.
Wie steuert man dem entgegen?
Zwei Punkte sind hier wichtig. Erstens: Das Ökonomisieren als Leitbild birgt eine Falle. Es ist problematisch, wenn ich mir ständig die Frage stellen muss, ob mein Handeln den Gesetzen des Marktes dient. Selbst wenn es um einen neuen Pullover geht, heißt es schon, es sei ein tolles Investment. Warum? Wird damit meine Karriere gepusht? Klar kann Kleidung etwa bei einem Bewerbungsgespräch eine wichtige Rolle spielen. Aber gleichzeitig wird das schamlos zum übergreifenden Prinzip gemacht: Die Ökonomisierung des gesamten Weltbildes sehe ich als Bedrohung für Gesundheit, Wohlbefinden und Demokratie. Gerade deswegen bin ich sehr froh über die „Friday for Future“-Bewegung und eine junge Generation, die nach neuer Sinnstiftung sucht, sich darum bemüht, dass man sich in Gruppen wohlfühlt und dass es dem Planeten gut geht. Zweitens sind Menschen, die in einem für sie konstruktiv erlebten Umfeld aufwachsen und sich bewegen, weniger anfällig für selbstverletzendes Verhalten. Ein anderes Beispiel: Nicht Computerspiele stellen ein Problem dar. Der Knackpunkt ist: Kann ich zwischen Fantasie und Realität trennen?
Und wenn ich das verwechsle?
Dann ist das nicht nur ein gesellschaftliches, sondern zunächst ein psychisches Problem. Wann immer man in Familiengeschichten zurückgeht: Dort, wo es zu pathologischen, destruktiven Verläufen kommt, geht es sehr oft auf Kriegsgeschehen zurück, das über Generationen Probleme schafft. Psychotherapie kann hier ein Katalysator für weiter reichende Veränderungsprozesse in Familien sein.
Aglaja Przyborski
… ist Psychologin, Psychotherapeutin, Psychotherapie-Ausbildnerin sowie habilitierte Kulturwissenschaftlerin. Sie war Mitarbeiterin an der Freien Universität Berlin, der Hauptuniversität sowie der Sigmund Freud Privat-Universität Wien, wo sie den Studiengang Psychologie aufbaute. Seit Anfang 2019 lehrt und forscht sie am Department Psychotherapie an der Bertha von Suttner Privatuniversität St. Pölten. Sie ist außerdem Yoga-Lehrerin und zweifache Mutter.