Lifestyle | 29.04.2022
Wenn Aktien echte Früchte tragen
Die Pandemie wie auch der Krieg in der Ukraine zeigen drastisch auf, wie instabil unsere globalen Lieferketten sind und wie abhängig wir uns letztlich gemacht haben: Dinkel wird knapp. Weizen wird knapp. Gemüse kreuzt Europa. Industrieller Einheitsbrei verdrängt Vielfalt und Geschmack. Und Bienen verhungern in der Blüte von ertragreichen Hybridsorten ... Lebensmittel sind zu einem lukrativen Geschäft geworden. Allerdings nur für ein paar wenige, Tendenz fallend. Umwelt, Böden, Tiere und Kleinbauern zählen auf jeden Fall nicht zu den Nutznießern. Doch es gibt auch andere Marktplätze, wo andere Werte gelten, wie – als erste ihrer Art – die Regionalwert Niederösterreich-Wien AG, die gerade beginnt sich auszubreiten. Die Idee dahinter ist einfach, das Potenzial zukunftsgestaltend: Konsumenten, denen landwirtschaftliche Bioprodukte vor der eigenen Haustür am Herzen liegen, werden Aktionäre, um die Ernährungssouveränität zu sichern. „Eine Regionalwert-Aktie ist etwas für Menschen und Betriebe, die nicht jammern, sondern Verantwortung übernehmen – für die Region, in der sie leben und von der sie auch in Zukunft leben wollen“, erklärt der innovative Biobauer – und noch einiges mehr ...
NIEDERÖSTERREICHERIN: Herr Schwendinger, was hat Sie bewegt, eine Bürgeraktiengesellschaft für regionale Biolebensmittel ins Leben zu rufen?
Alfred Schwendinger: Ich war 37 Jahre Biobauer am Jauerling – aus Überzeugung. Und ich weiß um die strukturellen und gesellschaftlichen Probleme unserer Landwirtschaft. Deshalb engagiere ich mich bereits seit 1984 bei der Erzeuger-Verbraucher-Initiative EVI und betreibe seit 2006 den EVI-Bioladen in Krems mit regionalen Produkten zu fairen Preisen im bäuerlichen Direktvertrieb. Nachhaltige Kleinbetriebe leisten unglaublich wertvolle Arbeit für unsere Gesundheit, die Umwelt und unsere Zukunft. Das ist ein ökologischer Mehrwert, der aber nicht durch entsprechende Preise wertgeschätzt wird. Hier braucht es ein Gegengewicht.
Sie meinen das Bauernsterben?
Richtig. Unsere gesamte Struktur ist auf Vergrößerung ausgerichtet. Der Handel will Masse, gleichförmig, optisch perfekt, eng kalkulierbar – das ist nur mit industrieller Landwirtschaft auf großen Flächen zu machen. Und je mehr Fläche, je mehr Förderungen gibt es wiederum. Das drückt den Preis, da können kleinere Biobetriebe nicht mit.
Bye-bye Vielfalt …
Ja, das Ergebnis ist industrieller geschmackloser Einheitsbrei auf unseren Tellern, der quer durch Europa gekarrt wurde, statt vollmundige Vielfalt, die nachhaltig und sozial vor der eigenen Haustür produziert wird.
Wo setzt das Konzept der Regionalwert AG an?
Die Bürgeraktiengesellschaft beruht auf dem Konzept der partizipativen Regionalökonomie, eine Idee, die sich in Deutschland schon fast flächendeckend ausgebreitet hat. Mithilfe von Bürgeraktien wird in ein Netzwerk von kleinstrukturierten Biobetrieben entlang der gesamten Wertschöpfungskette – von Landwirten, Verarbeitern, Handel und Gastronomie – investiert, damit qualitative Lebensmittel auch in Zukunft in der Region produziert werden können und den Konsumenten in Stadt und Land in hoher Qualität auf kurzen Wegen zur Verfügung stehen.
Ist die Regionalwert AG eine mögliche Antwort auf instabile Lieferketten?
Ja, denn eines wird immer wichtiger: das Wissen, wo unsere Lebensmittel herkommen und wie sie produziert werden – und ein möglichst direkter Zugang dazu. Das kann mittelfristig ein Garant für eine stabile Versorgung sein, wenn internationale Spekulanten weiter Engpässe produzieren. Deshalb müssen wir die regionalen Wertschöpfungsketten für Nahrungsmittel stärken. Wenn wir zuschauen, wie die kleinen Betriebe sterben, weil wir verlernt haben, dass Preis ein Zeichen von Wert ist, gehört die Welt endgültig den Großen. Und wir ihnen.
Was verstehen Sie unter einem „Wertschöpfungsverbund“?
Das Herzstück des Regionalwert-Verbundes sind die Partnerbetriebe. 21 sind bis heute dabei und wöchentlich werden es mehr. Dazu kommen 50 Gründerpioniere von ReinSaat über GEA bis gugler. Unser Ziel wären 200 Betriebe aus Niederösterreich und Wien, die sich untereinander intensiv vernetzen und voneinander profitieren.
Ein Beispiel?
Der EVI-Bioladen in Krems kauft Brot von der Bäckerei Aubrunner, die das Mehl vom Biohof Sommer am Jauerling bezieht – 25 Kilometer von der Produktion bis auf den Teller! Oder die Dirndln vom Feld und der Lerchenhof komplettieren sich gegenseitig ihre Marktstände mit ihren Gemüseraritäten. Bei Bedarf investiert die Regionalwert Niederösterreich-Wien AG auch in die Betriebe oder beteiligt sich. Das ist eine neue Form des Miteinanders vom bäuerlichen Produzenten bis zum Konsumenten. Gemeinsam weben wir einen Teppich, der letztlich alle trägt.
Wie hoch ist die Rendite?
Höher als jedes Sparbuch abwerfen kann. Nämlich zukunftsfähige Bauern, eine gesunde Umwelt und biologische Lebensmittel auf dem Teller. Bei uns trägt das Geld wohlschmeckende Früchte (lacht).
Ein Blick in die Zukunft?
Im Herbst 2022 wird es die nächste Aktienemission geben, für die man sich jetzt schon vormerken lassen kann.
Die Veranstaltungsreihe:
Market Gardening am Mittwoch, 11. Mai, 19 bis 21 Uhr online via Zoom. Mit dabei: Alfred Grand, Biobauer, Regenwurmspezialist und Gründer von „VERMIGRAND Naturprodukte“ (www.vermigrand.com), sowie die „Dirndln am Feld“ Sarah Schmolmüller und Angelika Bianca Rabel aus Kirchberg am Wagram. Info und Anmeldung: [email protected] Alle weiteren Events finden Sie auf www.regionalwert-ag.at.