Lifestyle | 09.06.2022
Wo beginnt Green Filming?
Nehmen wir an, ich wollte in Niederösterreich einen Film drehen. Eine Liebesgeschichte, die ihren Anfang an einem idyllischen Bauernhof nimmt, aber an einem unerwarteten Ort ein jähes Ende findet. Das ist pure Gedankenspielerei der Autorin dieser Zeilen, es gibt also kein Drehbuch, die Idee dient einem Experiment. Ein solches können nämlich selbst Nichtfilmschaffende auf der ästhetisch anspruchsvollen Website der Lower Austrian Film Commission (LAFC) durchführen.
Diese bietet einen akribisch aufbereiteten Location Guide, bei dem man selbst mit Stichwörtern wie „idyllisch“ oder „extrem“ Drehorte nach Regionen findet – inklusive jeweils einer Bildauswahl mit konkreten Kontakten. Ich könnte für meinen fiktiven Film via „Production Guide“ sogleich Crewmitglieder und sogar sogenannte Green Film Consultants suchen, um mein Projekt möglichst nachhaltig auf die Beine zu stellen.
Das ist bloß ein kleiner Ausschnitt dessen, was Dietlind Rott und ihrem Team im vergangenen Jahrzehnt gelang – und das ist schlicht spektakulär, das darf gerade im heurigen Jubiläumsjahr anerkennend betont werden. Erst kürzlich wurde die LAFC mit zwei Preisen gekrönt: mit dem „Film Commission Initiative of the Year 2020“ der internationalen Makers & Shakers Awards sowie mit dem „Europäischen Kulturmarken-Award 2021“ in der Kategorie „Nachhaltigkeit im Kulturmarkt“.
Die LAFC fungiert als kostenlose Servicestelle für alle Filmschaffenden; angesiedelt in der Abteilung Kunst und Kultur des Landes berät und begleitet sie nationale und internationale Filmproduktionen und bietet – wie eingangs beschrieben – eine Motiv-, Branchen- und Projektdatenbank. Allein der Location Guide enthält an die 40.000 Fotos, um Niederösterreich als facettenreiches Filmland zu zeigen. Zwei der heuer mit den meisten Nominierungen zum Österreichischen Filmpreis bedachten Filme – Arman T. Riahis „Fuchs im Bau“ und Stefan Ruzowitzkys „Hinterland“ – wurden teilweise hier gedreht, ebenso Marie Kreutzers viel beachteter Film „Corsage“, der kürzlich in Cannes präsentiert wurde.
Als Film Commissioner Dietlind Rott parallel zum Aufbau des Location und des Production Guides bereits vor Jahren begann, sich für Green Filming bzw. für nachhaltige Filmproduktion einzusetzen, erntete sie noch viel Skepsis, erinnert sie sich. Heute nimmt die LAFC international eine Vorreiterrolle auf diesem Gebiet ein; es wurde sogar ein Vermittlungsprogramm installiert, um Green Film Consultants auszubilden. Eine Liste mit rund 60 Absolventinnen und Absolventen findet man auf der Website (via Plattform Evergreen Prisma).
NIEDERÖSTERREICHERIN: Welches Ziel verfolgen Sie?
Dietlind Rott: Ganz klar: dass nachhaltiges Filmschaffen Usus wird, dass wir den CO2-Abdruck reduzieren und möglichst bald klimaneutral Filme machen können. Ein wichtiger Begriff in dem Zusammenhang ist das Synergienmodell. Green Filming basiert darauf, dass man aus verschiedenen Perspektiven miteinander arbeitet: mit Filmförderinstitutionen, Film Commissioners, Green Film Consultants, dem Umweltzeichen 76 für Film und TV und anderen.
An welchen Schrauben muss bei einem Filmprojekt gedreht werden?
Ein sogenannter Hotspot, also einer der Hauptemissionsverursacher, ist die Mobilität. Bei einer europäische Koproduktion werden nationale und regionale Fördersysteme aus verschiedenen Filmländern zusammengeschlossen, es gibt viele verschiedene Drehorte.
Hier gilt es so zu planen, dass möglichst wenig CO2 verbraucht wird. Wir sprechen von Transportmitteln für die Crew, das Catering, die Flotte für Technik und Materialien. Wir bieten für den Report der Verbräuche einen filmspezifischen CO2-Rechner.
Wann integriert man im Idealfall eine/n Green Film Consultant?
In einer möglichst frühen Phase. In Deutschland werden schon ab dem nächsten Jahr Filmfördermittel verpflichtend an nachhaltige Maßnahmen geknüpft; wir sind hier in einer Übergangszeit, weil entsprechende Strukturen noch im Aufbau sind.
Ansetzen kann man bei einem Filmprojekt bereits beim Drehbuch, Stichwort Green Storytelling: Es gibt viele kreative Möglichkeiten, um das Thema ins Bild zu setzen. Eine einfache Form ist es, jemanden zu zeigen, der das Fahrrad statt dem SUV nimmt, oder – etwa in einem Actionthriller – eine alternative Energieform zur Übermittlung geheimer Daten nützt. Es geht darum, auch die Wirklichkeit durch das Medium Film zu verändern.
Wer bildet die Green Film Consultants aus?
Das passiert in Österreich exklusiv durch die Green Filming Academy der LAFC, unsere digitale Plattform Evergreen Prisma dient dabei als Werkzeugkasten. Damit haben wir das Curriculum von Philip Gassmann, der aus seinem interaktiven Green Filming Studio in Deutschland unterrichtet, eng verbunden. Unsere Absolventinnen und Absolventen sind nach bestandener Prüfung zertifizierte Green Film Consultants. Glaubwürdigkeit und Qualität stehen damit auf zwei anerkannten Beinen: zum einen durch den internationalen Experten in Europa, zum anderen durch die LAFC als öffentliche Institution mit Vorbildcharakter und Strahlkraft, was die beiden internationalen Preise bezeugen.
Aus welchen Bereichen kommen die Green Film Consultants?
Green Film Consultants können Filmprofis aus verschiedenen Filmberufen werden. Wichtig ist uns, sie für die Praxis auszubilden, unser klarer Auftrag an sie: Bringt euer Wissen und Können in die Filmlandschaft, stellt die Projekte um. Die Consultants werden bei uns verzeichnet, mit individuellen Porträts, das ist ihre Visitenkarte. Wir fördern außerdem den Austausch untereinander, im Frühjahr haben wir auch den Verband der Green Film Consultants gegründet.
Es war mir zudem wichtig, die Ausbildung auch relevanten Institutionen anzubieten, damit Filmschaffende sich darauf verlassen können, dass man weiß, wie ihre Nachhaltigkeitsmaßnahmen einzustufen sind. Green Film Consultants gibt es somit beispielsweise beim Österreichischen Filminstitut, beim Filmstandort Austria, dem Filmfonds Wien – und auch wir, das gesamte LAFC-Team, sind entsprechend ausgebildet.
Ihr Wunsch für die Zukunft?
Dass im Bereich des Dienstleistungssektors mehr passiert, dass Green Filming bzw. Filmschaffende bei dieser komplexen Arbeit mit Förderungen unterstützt werden. Nachhaltigkeitsaspekte zu berücksichtigen, bedeutet erst einmal einen Mehraufwand in der Filmproduktion, aber wir wissen: Das Klima ist im Grunde der Nabel der Welt.
Infos: www.lafc.at