Lifestyle | 14.06.2022
Sehr echt und unmittelbar

Barbie mit Damenbart
Er ist richtig gut darin, Klischees zu sprengen: Mag sein, dass so manche Künstler:innenseelen rauchend ihrer Kreativität nachts freien Lauf lassen. Der Schauspieler Lukas Johne geht früh schlafen und treibt gerne Sport. Er steht regelmäßig vor der Kamera (zuletzt etwa bei "Hinterland", "Vienna Blood"), aber er kann auch ohne Scheinwerferlicht prima. Nämlich spielen und Menschen bewegen. Das Festival namens "Kultur.Sommerfrische.Puchberg", das er vor wenigen Jahren in seiner Heimat ins Leben gerufen hat, sollte das Publikum so unmittelbar wie möglich mitreißen – und das ganz ohne Chichi.
Mit der heurigen Produktion "Liebe & Solidarität" geht das. Keine Sorge, niemand wird auf die Bühne gezerrt. Dieses Mitreißen klappt sogar, ohne dass überhaupt eine Bühne existiert. Auf der Terrasse des Schneeberghofs sollten die Musikerin und Schauspielerin Pippa Galli, der Musiker Hans Wagner (Neuschnee) und Lukas Johne selbst auftreten, dunkle Wolken machten der Outdoor-Premiere einen Strich durch die Rechnung. Die Aufführung wurde kurzerhand in einen Saal des Schneeberghofs verlegt, dessen große Fenster den Blick auf die Berge und den sich pastellrosa färbenden Himmel freigaben.
Hektik wegen der Umstände? Keineswegs. Als die Gäste eintrafen, war bereits indoor alles aufgebaut: Weder Kostüme – wobei Pippas "Garden of Love"-Shirt schon sehr zauberhaft war – noch eine Kulisse waren nötig, das Publikum blickte vielmehr auf ein Band-Setup, über das Hans Wagner mit schwarz lackierten Nägeln herrschte. Er schlüpfte – so sah es Lukas Johnes Stück mit Stand-up Comedy-Elementen vor – in die Rolle eines Therapeuten, der Philippa von ihrem romantischen Fanatismus und Lukas von seiner romantischen Frigidität heilen sollte. Das Trio durchstreift musizierend, singend und spielend Klassiker wie Shakespeares "Romeo & Julia", Schillers "Bürgschaft" und Sophokles' "Antigone". Sie tauchen in die Geschichten ein, hinterfragen Handlungen und Figuren, verweben sie pointiert mit aktuellen Bezügen. Schon mal darüber nachgedacht, was in Kleists "Der zerbrochene Krug" so alles drinnen steckt? Beispielsweise #MeToo und Korruption. Lachen geht sich trotzdem aus, das war ja das Meisterstück.
Um auf die "schwierigsten und spannendsten Patient:innen", wie sie der dreifache Doktor aus Berlin bezeichnet, zurückzukommen: Philippa und Lukas sind sozusagen auf Identitätssuche. Und durchaus verwirrt durch das, was die Geschichte(n) vorgeben, und was sie heute alles sein könnten, in diesem weiten Feld zwischen Frau- und Mannsein. Zwischen Damenbart und Barbie, heißt es einmal konkret.
Wenn man bei all dem so viel Spaß hat, dass der Schlussapplaus quasi zu früh kommt, und es die Botschaft, dass eigentlich am besten alle so sein dürfen sollen, wie sie sind, bis zum Herz schafft, dann kann man von einem gelungenen Abend sprechen. Zwei Mal ist "Liebe & Solidarität" noch geplant: am 24. Juni im Restaurant Forellenhof und am 9. Juli im Urhof20/Kunsthaus GAS, jeweils um 19 Uhr. Hingehen!