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People | 17.10.2019

Lotusblume

Filmpreise, Produktionen für Kino, Netflix und TV: Inge Maux brilliert mit 75. Wie aus einer jungen Mimin, die unter Depressionen litt und mehrmals dem Tod entkam, eine strahlende Persönlichkeit wurde.

Ich trau mich gar nicht zugreifen, so schön ist das“, sagt Inge Maux und hält mit der Gabel in der Hand inne. „Geh bitte“, winkt ihre Freundin ab, „das ist doch nix Besonderes“. Eine feine Heurigenplatte hat Martina Kronister vorbereitet; der liebevoll gedeckte Tisch thront inmitten ihres magischen Gartens: So fungiert dort beispielsweise ein altes Bettgestell als Kletterhilfe für Pflanzen, aus einem einstigen Haushaltstrog hängen saftige Erdbeeren. Ihre Familie betreibt den Spar-Markt in Klein-Pöchlarn; dort lernte sie Inge Maux kennen. Die heuer mit dem Österreichischen Filmpreis ausgezeichnete Schauspielerin („Murer“) fand im benachbarten Artstetten mit ihrem Mann Dino ein Refugium zum Krafttanken zwischen den Dreharbeiten. „Ich habe Inge im Geschäft erkannt und direkt angesprochen“, schmunzelt Martina Kronister. Die beiden wurden Freundinnen; dass das Interview in Martinas grüner Oase stattfindet, hatte sich die Mimin gewünscht. Hinter den Kulissen war schließlich auch sie gewissermaßen beteiligt an einer der aktuellen Rollen von Inge Maux – in Ulrich Seidls neuem Film „Böse Spiele“ (ab 2020).

NIEDERÖSTERREICHERIN: Worum geht es in „Böse Spiele“?
Inge: Der Film erzählt die Geschichte zweier sehr unterschiedlicher Brüder aus Niederösterreich; der eine lebt ein neues Leben in Rumänien, der andere sein altes als früherer Schlagerstar. Nach Rimini, wo er auftritt, kommen die Fans noch busweise – und ich spiele einen richtigen Oberfan, eine Art üppige Fellini-Figur im roten, engen Kleid. Zur Vorbereitung habe ich mir viele Shows angeschaut, von Gabalier bis Silbereisen. Ich habe die Frauen beobachtet, wie sie schunkeln, zu ihren Schlagerstars hochschauen und verklärte Mädchengesichter kriegen; da steckt so viel Sehnsucht drinnen, das hat mich sehr berührt.
Martina: Und ich hab‘ dich auch inspiriert (lacht).
Inge: Oh, ich wusste nicht, ob dir das recht ist: Darf ich das erzählen?
Martina: Sowieso.
Inge: Martina ist ein richtiger Fan.
Martina: Ein Michi Walchhofer-Fan. Ich habe Inge erzählt, wie das für mich war, als ich ihn nach zehn Jahren Daumendrücken kennenlernen durfte. Mein Mann hat mir das zum 40er ermöglicht; dieses Treffen war für mich ein Heiligtum!
Inge: Martina hat mich für die Rolle sehr inspiriert. Wenn wir gemeinsam unterwegs sind, freut sie sich immer, wenn sie Fotos mit Promis bekommt. Dabei fragt sie so offen und lieb, wenn sie darum bittet; alle mögen sie.

Inge, du hast schon in Ulrich Seidls „Paradies: Liebe“ gespielt. Wie kam es zu deiner Rolle in „Böse Spiele“?
Ulrich ist an mich herangetreten, er hätte wieder eine Rolle für mich. Er ist zu mir nach Artstetten gekommen, hat mir unterm Birnbaum aus dem Drehbuch vorgelesen. Dann waren wir in Maria Taferl essen – und dieser Tag wurde auch die Besiegelung unseres Vertrags. Aber ich muss gestehen: Als alte Sexbombe im Film aufzutreten, das ist schon ein Selbstverleugnungstrip für mich (schmunzelt).

Musste dich Ulrich Seidl für die Rolle überreden?
Nein! Mit Ulrich zu arbeiten ist eine schöne, unvergleichbare Herausforderung. Er ist ein wahnsinnig integerer Mensch – und wenn das auch paradox klingen mag: Er ist sehr moralisch und außerdem anständig, wie er die Schauspieler behandelt. Gerade in dem Film habe ich Szenen …! Ein Kollege sagte mir beim Dreh: „Bist du narrisch, du bist so sexy – ich weiß ja, wie alt du bist.“ (lacht)

Redest du offen über dein Alter?
Natürlich, ich bin 75. Das Alter ist die Zukunft. Ich spiele auch eine „Alzheimerische“ in einem Kurzfilm von Leni Lauritsch; in „Wir liefern ein Lächeln“ bin ich eine rabiate, rassistische alte Frau. Da hat sich selbst mein Agent geschreckt, als er mich so sah (schmunzelt). Diese Figur danach aus den Knochen zu kriegen, war nicht leicht.

Wie gelingt dir das?
Das war furchtbar schwierig. Ich habe mich am nächsten Tag wieder schön hergerichtet, die Haare, die Schminke – die Rolle hatte ich aber noch immer in den Augen. Doch das ist auch das Schöne, dass ich mich so reinhauen kann. Ich vergesse die Kamera, all die Leute rundherum. Ich sehe nur, was ich spielen muss, meine Figur. Ich freue mich wie eine Schneekönigin, wenn die Szene gelingt. Um die Figur wieder loszukriegen, höre ich oft Musik oder tanze sie mir heraus.

Viele tolle Schauspielerinnen kämpfen schon mit über 40 um gute Rollen, es gibt offenbar einfach zu wenige. Wieso geht es bei dir so ab?
Das hängt absolut mit Ulrich Seidl zusammen und der Rolle in „Paradies: Liebe“. Und mit meinem guten Agenten Klaus Kelterborn, der immer darauf achtet, dass ich unterschiedliche Rollen bekomme. Und nicht zuletzt wohl damit, dass ich komische und tragische Figuren spielen kann. Siehe Mame Wolkenbruch …

In „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ spielst du die konservative jüdische Mama eines jungen Mannes, der sich in eine Nicht-Jüdin verliebt. Der Film schlug riesig ein, die Schweiz schickt ihn ins Rennen um den Oscar und Netflix soll sich darum gerissen haben …
Wenn du das erlebst, wie das Publikum reagiert! Ich war bei zwei Kinovorführungen dabei; die Leute haben gewiehert, die haben mitten im Film applaudiert – das ist so schön.

Wie ist dein jüdischer Background?
Überhaupt nicht nachzuweisen. Very verborgen. Meine Mutter und meine Großmutter wurden scheinbar in der Nazizeit angezeigt, aber sie hatten einen Ariernachweis; ich glaube, da haben sie was gedeichselt. Aber schon in der Klosterschule haben sie mir Fotos von Mädchen aus Israel hingelegt und gesagt, ich würde auch so ausschauen. Ich habe auch sowas gehört, wie: „Ich zahl‘ dir deine Nasen-OP.“
Irgendwann wurde mir bewusst, dass ich all die jüdischen Worte und Ausdrücke von meiner Oma kannte. Aber vor mir wollte man all das fernhalten. Als ich anfing, jüdische Lieder zu singen, ist meine Mutter ausgeflippt: „Das darfst du nicht, das kommt wieder“, hat sie gesagt. Als dann die Regierung Haider-Schüssel (Schwarz-blaue Koalition, 2000, Anm.) kam, wurde sie panisch. Ich habe immer versucht, etwas von ihr zu erfahren, aber die hätte sich vorher eher etwas abhacken lassen, als etwas zuzugeben. Die Mame Wolkenbruch, meine Rolle im Film, hat mir schließlich ein jüdisches Leben geschenkt. Das war einzigartig: Ich bin ans Set gekommen, nicht um zu spielen, sondern um zu leben.

So oft wir uns treffen, strahlst du immer, wirkst so positiv; das sagen auch deine Kolleginnen und Kollegen. Gibt es auch eine Kehrseite?
Oh, das war ganz anders in meinen jungen Jahren: Ich hatte Depressionen – und weil mich die Liebe sehr erwischt hat, habe ich sogar einmal einen Selbstmordversuch gemacht. Dann musste ich auch noch eine schwere Kopfoperation über mich ergehen lassen. Ich litt an einer Rippenfellentzündung, spielte am Resi in München (Residenztheater, Anm.) und wollte keine Vorstellung ausfallen lassen. Das hat zu einer schlimmeren Erkrankung geführt, darum die OP. Das war damals sehr auf Messers Schneide. Da habe ich gelernt, das Leben zu lieben. Zur positiven Einstellung kommt außerdem, dass ich die Menschen  mag, dass sie mich interessieren und ich mich selbst als Menschendarstellerin sehe, die die Leute berühren möchte. Ich bin dankbar für jede Rolle und bete manchmal: „Please, please, here I am. Lass mich noch lang gesund sein und schick mir Rollen!“ (lacht) Weil mich mein Beruf so glücklich macht, bin ich bis heute auch bereit masochistisch Rollen auszuhalten – und etwa in offenen High Heels durch Schneematsch zu stapfen.

Ist das für dich in Ordnung, wenn ich über deine Depressionen schreibe?
Ja, natürlich. Weißt du: Ich bin als junger Menschen mit einem fast heiligen Ernst an meinen Beruf rangegangen; habe nach allen möglichen Methoden, nach Stanislawski und Strasberg gearbeitet. Aber ich bin mit dem Drumherum nicht fertig geworden. Mit den Regisseuren, die mit einem ins Bett gehen wollen, mit all den dirty Sachen. Zum Thema #MeToo könnte ich einiges erzählen.

Bist du froh, dass das nun so weite Kreise zieht?
Sehr! Ich habe mir immer gewünscht, Schauspielschulen würden die jungen Leute, Frauen und Männer auch darauf vorbereiten, dass sie eben auch miesen Regisseuren begegnen werden, die sie zur Sau machen. Es ist wichtig, seine Selbstachtung hochzuhalten. So viele stehen vor der Entscheidung: Muss ich mit dem ins Bett, damit ich die Rolle kriege? Ich war an der Schauspielschule, da ist mir ein Professor direkt unter die Bluse reingefahren und hat mir ins Ohr geflüstert: „Ihr müsst euch daran gewöhnen, dass ihr Huren seid.“ Ich bin erstarrt, ich war erst 16! Dann hatte ich mal ein Verhältnis mit einem Regisseur; der hat mich  fast verbluten lassen, damit niemand etwas erfährt. Ich bin mit all dem nicht fertig geworden und hab‘ angefangen zu trinken …

War es damals die schwere Kopfoperation, die alles veränderte?
Das war das eine. Zum anderen gab mir Yoga viel positive Energie. Darüber schreibe ich vielleicht einmal ein Buch: Ich bin sogar für drei Jahre komplett ausgestiegen, aber nachts habe ich von der Bühne geträumt, also musste ich zurück. Diese Art positive Gehirnwäsche durch Yoga und das Umfeld wirkt aber bis heute. Ich meditiere, wünsche der ganzen Welt Glück und Wohlbefinden. I came from the darkness into the light. Ich habe dreckige, schiache Dinge erlebt, bin aber durchgegangen und eine Lotusblume ist herausgekommen. Oder was auch immer (lacht)!

Was wünscht du dir heute?
Ich würde gerne eine schöne Liebesgeschichte unter Oldies spielen. Oder eine verrückt verschrobene Adelige, ich liebe diese komischen Rollen. Jedenfalls mag ich auch gerne positive Rollen, die die Leute erfreuen und glücklich machen, wo sie lachen können. Wobei: In einem „Tatort“ möchte ich auch gerne spielen …

Inge Maux ...

… wuchs als Ingeborg Christina Wöchtl in Mettmach, OÖ, auf. Sie besuchte die Schauspielschule Krauss; den Künstlernamen „lieh“ sie sich vom Onkel, dem Komponisten Richard Maux. Verheiratet ist sie mit dem Schauspieler Manfred Dino Schmid. Inge Maux singt, malt und fotografiert auch. 2019 erhielt sie den Österreichischen Filmpreis für die beste Nebenrolle in „Murer – Anatomie eines Prozesses“, das gesamte Ensemble wurde soeben in Berlin mit dem Deutschen Schauspielpreis ausgezeichnet. Ein Auszug aus Maux‘ aktuellen Arbeiten: „Rainy Season“ (Start im Oktober), „Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse“ (auf Netflix, ab 11. Oktober), „Blockbustaz“ (Sitcom, auf Netflix), „Böse Spiele“ (Kinostart 2020), „Das schaurige Haus“ (in Produktion; Daniel Prochaskas Regie-Debüt fürs Kino).