People | 16.09.2020
Wagner mit Herzblut
Helga Rabl-Stadler und Markus Hinterhäuser haben sich in Salzburg getraut. Eva Walderdorff und Peter Svensson in Poysdorf bzw. in Mikulov/Nikolsburg: Man spielte Fest – und trotzte dem Virus. Empfand man die Premiere von Richard Strauss‘ „Elektra“ in Salzburg am 1. August als musikalischen Nabel der Welt – so stand man bereits tags darauf bei den Weinviertler Festspielen mit der Eröffnungsgala „Not only Wagner“ mit 24 namhaften Solisten, darunter gefeierte Bayreuth-Sänger, um nichts zurück. Der Reinerlös der Gala kam übrigens zur Gänze schnell und unbürokratisch der von Peter Svensson ins Leben gerufenen Nothilfe für Künstlerkollegen, die durch die Corona-Pandemie in finanzielle Notlage gekommen sind, zugute.
„Wir haben uns zusammengefunden, um Festspiele ohne Grenzen im Herzen Europas zu veranstalten“, freute sich Intendant Peter Svensson über sein internationales Ensemble, welches die kulturelle Kooperation zwischen Österreich und den Visegrád-Staaten widerspiegelt. Im Amfiteátr Mikulov inszenierte Edmund Emge „Tristan und Isolde“, Bayreuth-Veteran Isao Takashima führte bei „Der fliegende Holländer“ Regie – die einzigen Opern des Bayreuther Zyklus ohne germanische Mythologie, um der Region gebührende Sensibilität zu zollen. Und die Besetzung der mehrfach Bayreuth-erprobten Sängerriege war beachtlich. So waren beim Tristan u. a. Martina Serafin, Radostina Nikolaev, Günther Groissböck, Christian Voigt, Thomas Johannes Mayer, René Pape, Peter Svensson unter der musikalischen Leitung von Matthias Fletzberger am Werk. Im „Holländer“ glänzten Solisten wie Anna Gabler, Csilla Boros, Tomasz Konieczny, Franz Halata, Michael Heim unter dem jungen, aufstrebenden Dirigenten Levente Törek. Die Bühnenbilder beider Opern stammten von Siegwulf Turek, ein absoluter Wagner-Spezialist. „Wir wollten Wagner entideologisieren, daher freut es mich, dass es Opern sind, die in Norwegen und auf den Britischen Inseln spielen“, betonte Eva Walderdorff.
DIE PRÄSIDENTIN
Eva Walderdorff
„Ich sagte nicht leichtfertig zu, weil ich Aufgaben ernst nehme“, erzählt mir die Präsidentin der Weinviertler Festspiele, und erinnert sich an jene Weihnachtsfeier im Zeichen Mexikos, bei der traditionelle Lieder gesungen wurden. Dazu gehörte natürlich auch „Granada“– nur keiner konnte es anstimmen. Doch da war er: Peter Svensson. Mit dem Text, gelesen vom Handy, schmetterte er uneitel und stimmgewaltig Agustín Laras Meisterkomposition in die Runde. Ein Augenblick, der Eva Walderdorff sagte, „dieser Mann will einfach nur geben und etwas bewirken“. Eine Begegnung, welche sich in die Geschichte des Festivals einschrieb, der Beginn einer wunderbaren Zusammenarbeit für die Weinviertler Festspiele. Doch dann kam Corona. Stillstand. Wären da nicht die Künstler und ihr Hunger nach der Opernbühne gewesen – und die integrativen Figuren Svensson und Walderdorff. „Alle waren sie sofort dabei, und mir war bewusst: Dieses Festival hat nach der Absage von Bayreuth und Erl unikalen Weltcharakter – denn Salzburg spielt ja keinen Wagner. Wir haben uns also getraut und wir haben es geschafft.“ Überhaupt erinnert sie sich weniger an die Herausforderungen, die weit größer waren, als sie erwartet hätte, sondern vielmehr an den „unglaublichen Zusammenhalt der Künstler“. An Gespräche, die für sie so elixierend waren – fast wie Verliebtsein. „Wenn Weltstars oder Künstlergrößen ihres Landes zu mir kamen, um mir zu danken, auftreten zu können, so sind diese Momente an Glück nicht zu übertreffen. Denn, das Einzige, was ich in meinem Leben erreichen wollte, ist, Menschen glücklich zu machen. Dies gilt für meinen Mann, unsere Kinder und das opernhungrige Publikum.“
DER INTENDANT
Peter Svensson
„Ich kann Ihnen verraten: Es war nicht immer leicht. Man könnte sogar sagen, wir haben gearbeitet wie die Bienen, wir haben gekämpft wie die Tiger und wir haben den Mut nicht verloren und zusammengehalten! Und schließlich war es so weit: die Eröffnungsgala! Unser unermüdliches Team hat hinter den Kulissen den ganzen Tag ohne Pause gearbeitet, damit am Abend die Gäste kommen und die Sänger auf der Bühne glänzen konnten! Und sie haben nicht nur geglänzt, sie haben gestrahlt und gefunkelt. Da wusste ich: Es passiert tatsächlich! Die ersten Weinviertler Festspiele 2020 sind Realität geworden! Wir haben in dieser düsteren Zeit, in der die Gegenwart und die Zukunft ungewiss sind und in der Kunst seinen Stellenwert verloren zu haben scheint, ein neues Licht in diese Welt gebracht. Und dieses Licht sind die Weinviertler Festspiele! Wir haben unsagbares Glück, dass so, so viele unglaublich hochkarätige Sänger mit uns auf der Bühne stehen. Aber wir wären nichts ohne unser kleines, aber sehr feines Team hinter der Bühne. Meine Hochachtung gebührt allen, die bei den Weinviertler Festspielen mitgemacht haben und durch die Irren und Wirren in einer wunderschönen, aber harten Zeit an meiner Seite waren – wie unser großartiges Publikum!“
DER DIRIGENT
Matthias Fletzberger
„Ich bereite mich ein Leben lang auf Tristan und Isolde vor“, sagt Matthias Fletzberger, der bereits als Fünfjähriger dirigiert hat. „Ich hatte eine Partitur daheim von der ‚Walküre‘ und dazu eine Aufnahme von Furtwängler, und habe auf meiner Spielzeugkiste stehend dirigiert. Mit 20 Jahren, ich war Studienleiter an der hamburgischen Staatsoper, verspätete sich der Dirigent des Abends, als Rolf Liebermann sagte: ‚Du dirigierst jetzt Figaro!‘ So kam ich zu meinem ersten Figaro.“ Mit dem „Ring des Nibelungen“, der „Elektra“ oder „Salome“ wurde Fletzberger groß, hat die Werke gehört, während er seine Hausaufgaben machte. „Schon als junger Teenager stand ich jeden Abend am Stehplatz, später saß ich mit der Partitur in der Oper und habe mitstudiert. Jetzt ‚Tristan und Isolde‘ komplett zu machen – das dauert eben schon 40 Jahre!“ Was er jungen Dirigenten raten würde? „Ich glaube, der wichtigste Tipp ist der, den auch ein Herbert von Karajan einem Christian Thielemann gegeben hat: ‚Gehen Sie in die Provinz, in Minitheater und dirigieren Sie Operette – unter egal welchen Voraussetzungen! Da lernt man das Handwerk, da lernt man, wie man ein Orchester führen kann, wenn die Sänger schlecht sind, wenn das Orchester schlecht ist, wenn der Raum schlecht ist, die Akustik schlecht ist, die Inszenierung schlecht – dann muss man trotzdem noch versuchen, etwas Gutes zu machen. So lernt man die Basis.‘“ Und die Weinviertler Festspiele? „Ich halte das einfach für eine großartige Initiative und eine fantastische Möglichkeit, gute Musik zu machen und gute Kunst auf die Bühne zu bringen – nicht mehr und nicht weniger.“
DER HOLLÄNDER
Tomasz Konieczny
„Im April, mitten im Lockdown, hat mich Peter Svensson angeschrieben und gefragt, ob ich bei einem möglichen Wagnerfestival im Weinviertel die Partie des ‚Fliegenden Holländers‘ übernehmen möchte. ‚Ja, unbedingt!‘, habe ich dem Peter sofort geantwortet. Zuerst, weil der Holländer eine Partie der Zukunft für mich ist, denn letztes Jahr, nach meinem sehr erfolgreichen Debüt, wurde mir die Partie des Holländers an der Metropolitan Opera New York für 2023 angeboten. Zum Zweiten war ich von Beginn der Pandemie an der Meinung, dass wir unsere künstlerische Anwesenheit stets manifestieren müssen, andernfalls wird uns das Publikum weglaufen. Drittens bin ich stets sehr offen für neue Ideen. Die Umstände waren nicht einfach, doch die Konzerte und Vorstellungen haben nichtsdestotrotz stattgefunden. Wir haben dem Publikum die wunderbare Musik von Richard Wagner in der ‚Zeit der Konserve‘ live präsentiert. Dort, wo die großen Festivals und Kulturinstitutionen geschlossen blieben, haben wir einen Tristan und einen Holländer gespielt. Allein dafür, wie sich die Zuschauer nach der Vorstellung gefreut haben, hat es sich gelohnt aufzutreten. Ich bin sicher, dass dieses Festival weiterleben wird und ich wünsche ihm alles, alles Gute! Wir Künstler brauchen das Publikum. Und das Publikum braucht Kultur. Lebendige Kultur. Das müssten die Politiker, welche die Kulturnation Österreich derzeit regieren, doch verstehen. Kultur ist kein Luxus. Es ist ein Lebensmittel!“
DIE SENTA IM HOLLÄNDER
Anna Gabler
„Die Weinviertler Festspiele waren ein Abenteuer in Zeiten der Corona-Wirren. Für uns, die monatelang ihren Beruf und ihre Berufung vermissen mussten, ein Licht am Ende des Tunnels. Ich bin sehr dankbar, mit so vielen wunderbaren Kollegen wieder zusammengekommen zu sein und zu spüren, wie wichtig es ist, dieses direkte Live-Erleben von Musik, Bühne und Publikum. Kein Versuch, diese Zeit digital zu überbrücken, kann das ersetzen!“
Last, but not least: um auch in Kindern die Liebe zur Oper zu wecken, wurde auf der Gstettenbühne Poysdorf mit „Sigis Abenteuer“ eine Abhandlung von Wagners Opernzyklus „Der Ring des Nibelungen“ aufgeführt – mit großem Erfolg bei den Kids wie auch bei Opernanfängern.
Fazit: Die Weinviertler Festspiele brachten in ihrem ersten Jahr aus eigener Kraft ein Festival auf die Bühne, auf das Niederösterreich stolz sein darf. Für das Jahr 2021, wenn beide Spielorte in Niederösterreich stattfinden werden, sind Förderer und Unterstützer willkommen. Bei Opernfreunden und Wagner-Gourmets heißt es aber bereits jetzt: Es ist angerichtet!