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People | 25.02.2021

Wahre Geschichte(n)

Mit 15 schmiss Jasmin Baumgartner die Schule, zog bald von Baden nach Wien. Für „Robin‘s Hood“ erhält die Filmemacherin jetzt einen bemerkenswerten Preis bei der „DOK Leipzig“, für Wanda dreht sie spektakuläre Musikvideos.

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"Schlimm ist unterschwelliger Rassismus, wenn beispielsweise Kinder Angst haben." - Jasmin Baumgartner (© Ioan Gavriel)

In feinem Wiener Slang haut Robin geschmeidig Meldungen raus, die von Tiefgründigkeit und Menschlichkeit zeugen. Er war und ist vieles: Veranstalter, DJ, Musiker, im Häfen saß er auch schon. Außerdem gründete Robin in Wien einen Fußballverein: im RSV (Robins Spieler Vereinigung), seinem „dirty rotten bunch“, wie er ihn liebevoll bezeichnet, lässt er ein Team miteinander verschmelzen, das an Biografien, Migrations- und Glaubenshintergründen nicht bunter sein könnte. Die Erfolge sind nicht alleine die Siege der Mannschaft, die mitunter schmerzhaften Rückschläge wurzeln oft im Rassismus.

Für ihre bewegende wie humorvolle Doku „Robin‘s Hood“ begleitete Filmemacherin Jasmin Baumgartner den RSV sieben Jahre lang. Nach der erfolgreichen Uraufführung bei der (Online-)„Diagonale“ wurde ihre Arbeit kürzlich bei der „DOK Leipzig“ ausgezeichnet, dem großen internationalen Festival für Dokumentar- und Animationsfilm.

Du hast einen ganz besonderen Preis bekommen und zwar …
… den perfekten Preis für diesen Film: den Gedanken-Aufschluss-Preis. Bei der „DOK Leipzig“ gibt es eine Sparte, die „DOK im Knast“ heißt. Dabei setzt sich die Jury aus Insassen einer Jugendstrafanstalt zusammen; sie haben den Preis sogar selbst gebaut – er ist der schönste an meiner kleinen Wand.

Wie hast du Robin kennengelernt?
Als Veranstalter in der Pratersauna (Club in Wien, Anm.). Dann hat sich herausgestellt, dass wir Nachbarn sind; wir wurden Freunde und gingen oft am Donaukanal laufen. Robin ist damals gerade aus dem Gefängnis gekommen. Mir ist noch nie zuvor jemand wie er begegnet: Bei ihm merkt man innerhalb von Sekunden, dass er ein guter Typ ist. Er kümmert sich sehr um die Menschen um ihn herum – und das auf eine ganz unprätentiöse Art und Weise.

Wie kam es zur Doku?
Wir sollten an der Filmakademie eine Kurzdoku machen. Da meinte Robin: „Ich war im Häfen, frag mich was.“ Ich so: Ja, fad (lacht). Aber er hatte diesen Fußballverein und lud uns im Freundeskreis ständig zu den Matches ein. Irgendwann wurde mir klar: Das ist eine urschöne Geschichte. Ich hatte damals keine Ahnung von Fußball; Anna (Havliczek, Kamerafrau, Anm.) und ich haben zu drehen begonnen, sodass ich lange die Regeln gar nicht verstanden habe; mittlerweile bin ich sehr fußballbegeistert.

Aus sieben (!) Jahren Material wurde ein Film auch gegen Rassismus …
Anfangs dachte ich, es wird ein persönliches Porträt über Robin. Dann kam plötzlich dieses Rassismusthema. Natürlich hatte ich ein Awareness dafür, aber nicht in dem Ausmaß, wie wir es dann erlebt haben. Einmal wurde uns sogar die Kamera aus der Hand gehaut; teilweise waren wir gar nicht mehr das Filmteam, sondern quasi die dokumentarische Begleitung für das Fußballgericht.
Wenn jemand im Publikum sitzt und „Banana Joe“ schreit, hat das für mich wenig mit Hass zu tun. Das ist eine Provokation, da geht es eher um die Sehnsucht sich zu prügeln. Einmal hat eine Frau Papy (ein dunkelhäutiger Spieler, Anm.) superheftig beschimpft, da bin ich erschrocken. Aber am schlimmsten ist unterschwelliger Rassismus, wenn man beispielsweise merkt, dass Kinder Angst haben, wenn keine Form von Offenheit mehr vorhanden ist.

Dein Herzensprojekt sollte bei der „Diagonale“ in Graz uraufgeführt werden, aber das ging wegen Corona nicht …
Das war schlimm. Aber wir haben jetzt einen Vertrieb aus Großbritannien, die eine TV-Version verbreiten wird und bemühen uns um den Filmstart in möglichst vielen Kinos. Es wäre schön gewesen, die Festivals zu erleben. Das Screening von der „Diagonale“ sahen so viele Menschen (online, Anm.), die hätten nicht in einen Saal gepasst. Aber mein Ziel war es immer, Filme für Leute zu machen, die ins Kino gehen. Mein Anspruch war nicht, dass einen Film so viele wie möglich sehen. Es verändert sich durch das Streamen gerade sehr viel. Und wenn ich erst daran denke, dass ich ein Musikvideo gemacht habe, das 17 Millionen Views hat!

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Fokussiert auf das echte. Filmemacherin Jasmin Baumgartner (© Anna Hawliczek)

Du meinst „Columbo“ von Wanda. Für die Band habt ihr auch kürzlich das spektakuläre Video „Jurassic Park“ unter anderem im Casino Baden gedreht.
Es gab noch nie so viele unfassbar gute Musikvideos wie jetzt, leider gibt es keine Förderung für Musiker dafür. Der Nachteil ist also: Davon kann man nicht leben. Sie sind wie ein Showreel, um zu zeigen, was man machen kann. Was wir schon für Actionszenen für Musikvideos gedreht haben! Wir haben Autos versenkt, Berge explodieren lassen. Das funktioniert, wenn alle Beteiligten sagen: Lass uns was Geiles machen! Das geht sich aber nur aus, wenn man andere Jobs hat. Selbst wenn es fallweise mehr Budget gibt, muss man das ins Video stecken. Bei „Wanda“ ist die Bekanntheit super, da helfen viele gerne mit.

Was macht deine Handschrift im Film aus?
Beim Kurzfilm „Unmensch“ kommt das sehr klar heraus: ein realistisches, reduziertes Schauspiel. Ich habe in New York eine Ausbildung in Method Acting gemacht – bei Susan Batson, die unter anderem Nicole Kidman coacht. Ihr Weg ist sehr natürlich, ihr Buch trägt den Titel „Truth“. Eine Lektion war, dass wir uns im Kreis aufstellen und es musste immer jemand in die Mitte, um ehrliche Emotionen darzustellen. Da gibt es Leute, die weinen, schreien, masturbieren, Hauptsache irgendeine Form von Exzess und Emotion! Es macht einen großen Unterschied, wenn ich als Regisseurin weiß, wie der Weg dorthin funktioniert, was ich fordere oder vorschlage. Gelernt habe ich dort außerdem, mich schnell zu überwinden. Mir wurde jegliche Angst genommen, ich bin bei der Ausbildung hart über meine Grenzen gegangen (lacht).

Woran arbeitest du gerade?
„Talking Shit About a Pretty Sunset“ wird ein Spielfilm mit dokumentarischen Elementen über die Sängerin Vera Love; ich bin ihr in der Wiener Eden Bar begegnet, sie sang schon mit Ray Charles und ist so eine coole Frau. „This Means Nothing to Me“ ist der Arbeitstitel für mein Filmdebüt, eine Art Wien-Hommage rund um den Opernball.

Wie bist du aufgewachsen?
In Baden mit meiner Mutter. Ich war im Gymnasium in der Biondekgasse und eine Zeitlang sehr wild. Keine Drogenprobleme oder Ähnliches, ich war neugierig, wollte nur rumhängen, Menschen kennenlernen und Filme schauen. Ich war überzeugt, dass mir die Schule nix bringt. Ich wollte Drehbuchautorin werden. Da bin ich lieber zur Cine-Bank, das war wie ein Bankomat für DVDs, die 24 Stunden offen hatte. Wenn ich traurig war, habe ich mich in eine Paral­lelwelt von Fernsehen und Film geflüchtet. Das scheint für mich bis heute eine schöne Möglichkeit zu sein, sich aus dem Leben rauszubewegen, um mich mit einem anderen zu beschäftigen.

Vielseitige Jasmin Baumgartner.
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Vielseitige Jasmin Baumgartner.
Szene aus der 90-minütigen Doku „Robin‘s Hood“.

 

(c) Olga Kosanovic

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Vielseitige Jasmin Baumgartner.
Making-of „Well­blech-Talente“, eine Reportage für „kreuz und quer“

 

(c) Wambui Kairo

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Vielseitige Jasmin Baumgartner.
in einer Drehpause für ein Musikvideo mit der Band „Wanda“.

 

(c) Infrasmog 

Hast du es je bereut, dass du die Schule geschmissen hast?
Für meine Mutter war es schlimm, dass ich es leicht hätte machen können, aber nicht gemacht habe; das tut mir leid. Wegen der Fehlstunden bin ich vom Gymnasium geflogen, an der Hauptschule hatte ich mit einem Lehrer einen Deal: Wenn ich so und so oft komme, schließt er mich ab. Mit 15 habe ich begonnen, Praktika bei Produktionsfirmen zu machen, abends habe ich in der Gastro gearbeitet. Mit 20 habe ich mich dann an der Filmakademie beworben – und wurde genommen. Ich war als Jugendliche undiszipliniert, so bin ich durchs Schulsystem gefallen, seither hat sich viel verändert. Aber ich hatte Glück, dass ich wusste, wohin ich will und meinen Weg dorthin gefunden habe.

War das für dich immer klar?
Das ist mit 30 anders, aber mit 20 hatte ich nie Angst, dass es schief geht. Mein Zugang war: Wenn ich Geld brauche, gehe ich arbeiten. Diese große Welt mit den vielen Möglichkeiten hält einen so am Leben. Jetzt (wegen Corona, Anm.) ist das so eingeschränkt und alles anders.

Wie bist du damit umgegangen, dass du ohne Vater aufgewachsen bist?
Mit 14 bin ich heimlich zu ihm gefahren, so habe ich meinen Halbbruder kennengelernt, den nettesten, besten Menschen. Er hat es in die Wege geleitet, dass ich meinen Vater später getroffen habe. Ich war irritiert, wie unspektakulär das war. Ich hatte nicht das Gefühl, dass mich irgendwas mit ihm verbindet. Es war einfach ein Puzzleteil aus dem Leben meiner Mutter, das mich interessierte. Familie ist das, was da ist. Das sind die Menschen, die einem wichtig sind, für die sollte man sein Bestes geben.

Die Filmbranche ist hart, hast du je mit deiner Wahl gehadert?
Das ist der schönste Beruf der Welt. Das Einzige, was nicht schön ist, sind schwierige Finanzierungsprozesse.

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Alles anders. Für gewöhnlich reist und dreht Jasmin Baumgartner viel. Der spannende Gesprächsstoff ließ uns die Kälte mehr als zwei Stunden (fast) vergessen. Bei zwei Grad führte V. Kery-Erdélyi das Interview coronabedingt im Freien.

Jasmin Baumgartner

… wurde 1990 geboren und wuchs bei den Großeltern und ihrer Mutter in Baden auf. Mit 16 zieht sie nach Wien, macht tagsüber Praktika in der Filmbranche, abends jobbt sie in der Gastronomie. Mit 20 Jahren beginnt sie ein Drehbuchstudium an der Filmakademie Wien, später nimmt sie Regie dazu. Zu ihren preisgekrönten Arbeiten gehören etwa der Kurzfilm „Unmensch“, für die ORF-Sendung „kreuz und quer“ dreht sie in den Slums von Nairobi „Wellblech-T­alente“, eine bewegende Doku über Jugendliche. Für die Band Wanda machte sie u. a. die Musikvideos „Jurassic Park“, „Ciao Baby“, „Columbo“. Ihre Kinodoku „Robin‘s Hood“ wurde mit niederösterreichischen Fördermitteln realisiert und kürzlich mit dem „Gedanken-Aufschluss-Preis“ der DOK Leipzig ausgezeichnet.

Infos: jasminbaumgartner.com