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People | 04.03.2021

„Die Welt ist meine Galerie“

Camillo Stepanek arbeitet mit Holz aus Niederösterreich, fährt mit seinen Werken im Kleintransporter nach Marokko, in New York hängt er sich ein Bild um: Wie ein ehemaliger Banker seinen Traum verwirklicht.

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Gar nicht scheu. Parallel zu seiner ersten Ausstellung 2017 in New York spazierte Camillo Stepanek mit seinem Werk durch die Stadt, „damit meine Kunst nicht nur jenen vorbehalten ist, die Eintritt zahlen“. (© Stephanie Korherr)

Er war plötzlich gefesselt, erzählt er. Seine Augen und Gedanken verloren sich in den Maserungen, „den magischen Lebenslinien“, wie Camillo Stepanek beschreibt. Die Faszination galt einer Holzdecke, die er eines Tages in einem Haus in Niederösterreich entdeckte und die – wenn auch nicht sofort und linear – sein Leben in neue Bahnen lenkte.

Noch vor dem Lockdown besuchen wir den Künstler in seiner Wiener Wohnung, wo seine großformatigen Arbeiten zu vibrieren scheinen. „Pop Art Nouveau“ nennt er den Stil, den er selbst kreierte. Die dynamischen Linien in Gold und Silber schwimmen und tanzen in einem Meer aus kräftigen Farben. Es wirkt, als fiele es den Werken schwer, an Wände gelehnt auf ihre Auftritte zu warten.
So geht es auch Camillo Stepanek. In den vergangenen Jahren tat der junge Niederösterreicher viele große Schritte zur Verwirklichung seiner Träume. Ausstellungen in New York, St. Petersburg, Dubai und Paris befanden sich bereits in der Pipeline, dann kam Corona. Es trifft ihn, wie auch andere Kreative, aber langes Innehalten scheint nicht seinem Charakter zu entsprechen. Es ist nicht das erste Mal, dass er sich ein Werk mit einem Band um den Hals hängt und in die Welt hinausmarschiert. Das tat er schon vor Jahren in New York, 2020 tut er es etwa in Wien, Salzburg und Kitzbühel während des ersten Lockdowns.

Das Schöne im Kleinen. Dabei fing sein Leben alles andere als exzentrisch an. Aufgewachsen ist Camillo Stepanek in Blumau-Neurißhof, einer kleinen Gemeinde im Bezirk Baden – als Spross eines Familienunternehmens für Teppich­reinigung. Ein Kunstlehrer fördert sein Talent, das Kreative brodelt in ihm, „aber ich hatte nach der Matura noch nicht den Mut, ich selbst zu sein“, erzählt er. „Wir leben nicht in einer für Träume offenen Gesellschaft“, sagt er später im Interview.
Er beginnt ein Wirtschaftsstudium an der Fachhochschule in Wien, seinen Blickwinkel verändert ein Geschenk zum Bachelor: eine dreitägige Reise nach New York. „Ich habe mich dort das erste Mal richtig frei gefühlt.“ Für ihn ist sofort klar: Parallel zum Masterstudium will er jede Minute seiner Freizeit der Kunst widmen und so schnell wie möglich nach New York. Er heuert bei einem Kredit­institut in Connecticut an, fährt bei Kunstwettbewerben in den USA erste Erfolge ein. Inspiration für seine Arbeiten schöpft er schon damals aus der Natur, er ist aber noch ein Suchender.

„Ich wusste: Mein Stil wird zu mir kommen.“ Dann entdeckt er die eingangs beschriebene Holzdecke. Gefesselt vom Anblick der Maserungen, beschließt er, sie sozusagen vor den Vorhang zu holen. „Das sind die Lebenslinien des Baumes, sein Lebenslauf, den er und sein Umfeld formen“, beschreibt Camillo Stepanek. Mit hauchzarten Gold- und Silberplättchen will er den Blick auf die Schönheit im Kleinen, in der Natur lenken und gespiegelt auch darauf, „wie wir Menschen unsere Lebenslinien formen“. Um sich die Jahre des kreativen Reifens leisten zu können, arbeitet er zunächst tagsüber in wirtschaftlich orientierten Jobs weiter.

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Marokko. Die erste große Einzelausstellung im eleganten Hotel Hyatt (© privat)

Im renommierten Holzhändler JAF Frischeis in Stockerau findet er einen geeigneten Partner, „tatsächlich suche ich jede einzelne Holzplatte selbst aus“, erklärt er. Um „die Kalligrafie des Baumes“ sichtbar zu machen, lässt er sich von seinem Bauchgefühl leiten. Pop Art und Art Nouveau (Jugendstil) sind die Eltern seines Babys, findet er, so nennt er seinen Stil „Pop Art Nouveau“.

Nach ersten positiven Reaktionen kommt für 2017 eine schöne Einladung nach Marokko; noch nie zuvor war im eleganten Hyatt Hotel eine Einzel­ausstellung veranstaltet worden, der Niederösterreicher sollte die Premiere bestreiten. Die Konditionen der Transportunternehmen raubten dem Künstler den Schlaf, da schreitet er zu einer ungewöhnlichen Lösung. Er leiht sich den Kleintransporter seines Vaters aus, legt in dreiundeinhalb Tagen rund 3.600 Kilometer bis zum Ziel zurück. „Eines der insgesamt zwölf Bilder ragte über meinen Kopf, ich musste allein fahren, weil kein Beifahrer Platz gehabt hätte“, lacht Camillo Stepanek.

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Schöne Kollaboration.
Für eine Vernissage schrieb Ulrike Beimpold von Camillos „magischen Linien“ inspirierte Texte.

(c) Lena Horvath

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In den Katakomben von Soho. Erfolgreiche Präsentation in einer zuvor der Öffentlichkeit nicht zugängigen historischen Locatio.

(c) Stephanie Korherr

Zweite Heimat: New York. Auf Marokko folgen bemerkenswerte Präsentationen in New York: etwa im Österreichischen Kulturforum in Manhattan und beim „Viennese Opera Ball“. Es wurmt ihn, dass nur jene, die Eintritt zahlen, seine Kunst sehen dürfen. Spontan startet er eine Kunstperformance: Er hängt sich ein großes Bild um und spaziert und fährt damit durch New York. Die Aktion „Die Welt ist meine Galerie“ findet großen Anklang; bis heute wiederholt er sie immer wieder an neuen Orten.

Ein großer Wurf gelingt ihm im Big Apple, als er die Katakomben von Soho, eine zuvor nicht öffentlich genutzte historische Location, bespielen darf. Um die große Einzelausstellung „Fascination of Lines in Nature“ zu realisieren, muss er viele Hürden überwinden, „ich musste mir sogar Geld ausborgen“, verrät Camillo Stepanek. Sein Erfolg und sein Freundeskreis wachsen, in New York findet er eine zweite Heimat.
In der österreichischen Heimat geht es 2018 richtig los: mit einer Ausstellung im Alfons Walde-Museum in Kitzbühel, gefolgt von einer Benefizaktion beim Modelabel „Jones“ auf der Wiener Kärtner Straße für Licht ins Dunkel. Die Schauspielerin Ulrike Beimpold wird auf seine „magischen Linien“ aufmerksam; „sie hat gesagt, wenn sie meine Bilder sieht, poppen sofort Texte bei ihr dazu auf“, schwärmt Camillo Stepanek. Im Wiener Palais Harrach bestreitet das Duo eine erfolgreiche Vernissage. Die beiden lassen dabei Bild und Wort zu einer neuen Kunstform verschmelzen.

Pro Liebe. Als die Pandemie seine Erfolgssträhne zu stoppen scheint – im Herbst 2020 verwirklicht Camillo Stepanek noch eine maßnahmenkonforme Ausstellung –, erfindet er abermals eine Aktion: Der 33-Jährige schickt eine großformatige Arbeit auf Wanderschaft. „Kunst ist ein Grundbedürfnis, auf das die Menschen nicht verzichten sollen“, sagt er. Freilich bedeutet Corona auch für ihn einen Rückschlag, dennoch will er motivieren, „das Beste daraus zu machen, lieber ins Licht zu schauen, als in den Schatten zu gehen“.

Seit dem Frühsommer ist sein Bild nunmehr unterwegs; auch private Interessierte können sich bewerben, jeden Monat wird die Location gewechselt. Das Werk war beispielsweise in Leo Hillingers Vinothek in Kitzbühel und im Yogahof im burgenländischen Kukmirn, derzeit – passend zum Valentinstag – hängt es privat bei Zwillingsbrüdern in Wien, die sich unabhängig voneinander beinahe zeitgleich als Homosexuelle geoutet haben. „Meine Kunstaktion soll auch für Liebe und Weltoffenheit stehen“, betont Camillo Stepanek, der schon an der nächsten großen Sache arbeitet: an einer Ausstellung in jener spektakulären Location, die für die Landesausstellung 2019 mit großem Aufwand renoviert wurde – den Kasematten in Wiener Neustadt.

Infos: popartnouveau.com