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People | 23.04.2021

Die Social-Media- Rebellin

Sie will kein Mitleid und keine Inspiration fürs Publikum sein, betont Lily Marek. Ihr Credo: „Ich bin so normal wie du.“ Warum sie zur Youtuberin in Gebärdensprache wurde, wie sie ihre Zwillingsschwester supportet und welchen Nervenkitzel beide lieben.

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YouTuberin in Gebärdensprache. Die charismatische Niederösterreicherin Lily Marek betreibt auf YouTube und Instagram die Kanäle „Lily‘s Deaf Life“. Herzliche Empfehlung! (© Caro Marek)

Ein paar Clips wollte ich ansehen, um mich für das (schriftliche) Interview vorzubereiten. Die Geisterstunde klopfte an, doch ans Aufhören war nicht zu denken. Ich verschlang alle Videos, Lily Mareks Youtube-Kanal „Lily‘s Deaf Life“ zog mich komplett in seinen Bann. Die Niederösterreicherin, 23, youtubt in Gebärdensprache, gewährt mit Feingefühl und Humor Einblicke in die Welt von nicht hörenden Menschen. Manchmal spricht sie direkt zum Publikum, manchmal interviewt sie andere aus der Gehörlosencommunity oder ihre Zwillingsschwester Caro ist dabei. Die Videos sind mit Untertiteln in Deutsch und Englisch versehen. Das Faszinierende: Man kippt so rein, dass man die Stille völlig vergisst.

NIEDERÖSTERREICHERIN: Lily, was war deine Motivation für den Start deiner Youtube- und Instagram-Kanäle?
Lily Marek: Ich unterrichte die Österreichische Gebärdensprache (ÖGS, Anm.) und es ist mir sehr wichtig, nicht nur die Sprache, sondern auch unsere Kultur zu vermitteln. Darum suche ich ständig nach entsprechenden Filmen, Artikeln, Büchern und Videos. In ÖGS gibt es leider nicht viel, da beschloss ich, selbst Videos zu machen. Ich will so viele Geschichten, Perspektiven, kulturelle Aspekte, Barrieren und Alltagssituationen wie möglich zeigen.

Caro, wie hast du auf Lilys Idee reagiert? Warst du auch skeptisch?
Caro Marek: Ja, aber auch begeistert. Ich erkläre warum: Mir ist wichtig, dass Lily es für sich selbst macht und sich von negativer Kritik und dergleichen nicht unterkriegen lässt. Ich sehe, dass sie viel Spaß daran hat, da unterstütze ich sie gerne dabei.

Lily, was möchtest du via Social Media bewirken?
Lily: Ich möchte unsere Welt, Sprache und Kultur zeigen und verbreiten – und Stereotypen, Vorurteile und Missverständnisse aufzeigen. Ich möchte die Menschen neugierig machen, damit sie sich mit unserer Welt und unseren Barrieren auseinandersetzen.

Du sprichst in einem Video von den Vorteilen der Gebärdensprache. Dürfen wir spoilern: Welche sind das?
Lily: Ich nenne ein paar, es gibt so viele! Es ist zum Beispiel möglich, unter Wasser zu kommunizieren, durch Glasscheiben getrennt, von weiten Entfernungen oder in leisen und lauten Umgebungen. Man kann sich außerdem immer unterhalten, ohne andere zu stören.

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Mehr als ein Hobby. Auf dem Foto zeigt Lily Marek den Kosaken-Trickreitstil. Die amerikanische Variante lernte sie während einer USA-Reise, die sie allein nach der Matura unternahm. (© Lisa Kirka)

Wie hast du es erlebt, als sich dein Ertauben immer mehr gezeigt hat?
Lily: In meiner Jugendzeit merkte ich es immer stärker, dass sich meine Wahrnehmung veränderte. Bevor ich es richtig verstand, hatten mich schon meine Familie und Freunde darauf angesprochen. Als meine fortschreitende Schwerhörigkeit beim Arzt bestätigt wurde, war klar, dass ich Hörgeräte verordnet bekomme.
Die Gesellschaft vermittelt leider immer noch, dass ich mich schämen und die Hörgeräte verstecken sollte. Noch immer herrscht ein Bild vor, dass nur alte Leute Hörgeräte bekommen oder es wird überhaupt die Intelligenz in Frage gestellt. Aber wenn Personen, egal welchen Alters, eine Brille bekommen, sagt man, dass sie nun schlauer wirken. Dieses Stigma wollte ich brechen! Da zeigte ich stolz meine bunten Hörgeräte her. Meine Zwillingsschwester tat es mir gleich, als bei ihr später eine leichte Schwerhörigkeit festgestellt wurde.

Heute kommunizierst du aber lieber in der Gebärdensprache. Warum?
Lily: Je mehr ich von der Gehörlosenwelt lernte und mich selbst akzeptierte, desto weniger wollte ich mich „reparieren“. Heute trage ich meine Hörgeräte kaum noch. Ob man eine Hörhilfe benutzt oder nicht, sollte jeder selbst entscheiden. Ich nahm meine Gehörlosigkeit an und bin nun stolz darauf. Ich fühle mich wohl in meiner fast stillen Welt. Meine erste und bevorzugte Kommunikationswahl ist die ÖGS. Mit der Zeit akzeptierten auch die Leute um mich herum meine Entscheidung. Zuerst begann meine Mutter Gebärdensprache zu lernen, dann folgten mein Papa und unsere große Schwester Stefi.
Heute ist es für mich einfacher, neue Menschen kennenzulernen; alten Freunden aus der Zeit bevor ich ertaubt bin, muss ich oft alles erklären und mich für meine Entscheidungen rechtfertigen. Zum Beispiel, dass ich meine Stimme nicht mehr einsetze. Aber ich fühle mich nicht mehr wohl dabei, ich höre ja auch  meine Stimme nicht mehr.

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Heiße Sache. Caro Marek beim Stuntworkshop von „Stunt-Factory“ in Graz (© Mathias Kniepeiss)

Wie hat sich die Kommunikation zwischen euch beiden verändert?
Lily und Caro: Wir haben uns schon vorher in diese einzigartige Sprache verliebt, jetzt ist es unsere Hauptsprache. Ohne Gebärdensprache können wir uns unser Leben nicht mehr vorstellen.
Lily: Mit Gebärdensprache kann ich mich viel besser ausdrücken, ohne Anstrengung kann ich mein Gegenüber verstehen. Ich bin auch dankbar, dass es Dolmetscherinnen und Dolmetscher gibt; sie bilden Brücken zwischen den zwei Sprachen und Kulturen. Sie sind ja für beide Seiten da; die Gebärdensprache ist kein Hilfsmittel, beide Sprachen sind gleichwertig.

Sehr genial ist euer Video über Dos and Don‘ts in der Interaktion mit Gehörlosen. Welche sind eure Lieblinge?
Wie man die Aufmerksamkeit von Gehörlosen und Schwerhörigen bekommt. Es ist für viele Hörende sehr ungewohnt, sich durch Vibrationen wie Aufstampfen am Boden oder Klopfen am Tisch, durch Licht Auf- und Abdrehen oder Winken bemerkbar zu machen. Für uns ist das ganz normal.

Du sagst über die Gebärdensprache, sie sei so cool, weil sie eine 3D-Sprache ist. Wie meinst du das?
In Gebärdensprache erschafft man Bilder, die wie ein Film ablaufen. Es passiert so viel gleichzeitig und es gibt so viele Möglichkeiten was und wie man alles darstellen kann. Rollenwechsel, Zeitlupe, verschiedene Perspektiven, simultane Darstellungen … Es ist einfach so viel möglich.

Euch verbindet die Liebe zu Pferden, Stunts und Co. Was hat es mit den action­reichen Hobbys auf sich?
Lily und Caro: Seit wir klein waren, sind wir stuntbegeistert und haben viele Sportarten ausprobiert. Angefangen hat es mit Jackie Chan- und Jet Li-Filmen. Der Kindheits­traum, als Stuntfrau zu arbeiten, fühlte sich immer sehr weit weg an, aber heute wissen wir, dass man mit Können und Kontakten viel erreichen kann. Corona macht dies natürlich  nicht einfach. Aber wir nutzten die Zeit, unser Skillset zu erweitern und die Basis zu festigen. Es ist unser Ziel, in der Stuntwelt Fuß zu fassen. (Caro trainiert selbst und besucht Stuntworkshops zum Beispiel bei „Fighting for Film“ und „Stunt-Factory“. Lily trainiert oft in Deutschland bei Kirka Training, Anm.).  

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Mutig. Neben ihrem Engagement für die Gehörlosencommunity schlägt das Herz von Lily und Caro Marek für Trickreiten, Stunts und Co.

Was macht ihr gerade beruflich – bzw. welche Ausbildung macht ihr?
Caro: Ich besuche derzeit in Salzburg den Universitätslehrgang MODUS Dolmetschen und Übersetzen für ÖGS, Deutsch und International Sign.
Lily: Ich arbeite seit meiner Ausbildung für Gebärdensprachpädagogik auf der Uni Wien im Verbund mit der KPH Krems/Wien und im Sprachenzentrum Wien. Nebenbei bin ich noch in einigen Projekten tätig und in der Jugendkommission des Österreichischen Gehörlosenbundes (ÖGLB).

Du interessierst dich für ein Studium der Sozialpädagogik. Warum?
Mein Ziel ist: Ich möchte Hausbesuche bei Familien mit gehörlosen Kindern machen und sie beim Erlernen der Gebärdensprache unterstützen, um eine Sprachbasis zu schaffen und sie für die Schule vorzubereiten. Viele gehörlose Kinder haben keinen oder wenig Zugang zu einer barrierefreien Sprache. Die Gebärdensprachpädagogik kombiniert mit Sozialpädagogik halte ich für eine gute Voraussetzung für diese Aufgabe.

Welche Barrieren, mit denen Gehörlose konfrontiert werden, ärgern euch?
Vor allem wenn es um Grundrechte geht, wie etwa mangelndes Unterrichtsangebot in Gebärdensprache auf gleichem Niveau wie lautsprachliche Schulen, wenn man nicht seine gewünschte Ausbildung abschließen darf oder dass uns immer noch viele Berufe nicht zugetraut werden.

Was können wir alle dazu beitragen, damit sich nicht oder wenig hörende Menschen nicht diskriminiert fühlen?
Die zwei frustrierendsten Reaktionen überhaupt sind für uns: „Ich erzähle es dir später“ oder „es ist nicht so wichtig“. Jemanden nicht in das Gespräch miteinzubeziehen, weil womöglich etwas wiederholt oder aufgeschrieben werden muss, kränkt. Wir wünschen uns, dass man uns bei der Kommunikation entgegen kommt und nicht Entscheidungen über uns trifft. Dass die Menschen offener für andere Weltwahrnehmungen und Sprachen sind, dass man uns weder bemitleidet, noch auf unsere Besonderheit reduziert; wir sind mehr als unser Gehörsinn.