People | 12.05.2021
Leben für eine himmlische Minute

Ihre Mama sah ihre Abenteuerlust schon immer gelassen, ihr Papa gab sich kürzlich quasi seinem Schicksal hin. Obwohl er auch gleichzeitig stolz auf seine Fallschirm springende Tochter war, „hat er mich immer wieder gebeten, dass ich es bleiben lassen soll“, lacht Lisa Buchner. Doch vergangenen Winter fasste er sich ein Herz und unterstützte die taffe Extremsportlerin sogar dabei, ein Bett in ihren Wagen einzubauen, damit sie – und das ist wortwörtlich zu verstehen – am Sprungplatz in Wiener Neustadt übernachten konnte. Ihrem zweiten Zuhause.
Dass der Traum vom Fliegen vermutlich so alt ist wie die Menschheit, ist hinlänglich bekannt. Und doch war die Sehnsucht von Lisa, aufgewachsen mit zwei Brüdern in Maria Enzersdorf, schon in Kindertagen speziell. „Ich hab‘ mir eingebildet, wenn ich ganz schnell laufe und schön weit springe, fliege ich“, erinnert sie sich. Fliegen im Flugzeug empfand sie als ganz nett, ihre erste Fahrt im Heißluftballon schon intensiver, doch Lisa wollte mehr.
Eine Sportskanone war sie von klein auf; sie besuchte ein Sportgymnasium und machte parallel eine Fitnesstrainerausbildung. Nach der Matura will sie die Welt sehen und packt ihren Rucksack. „Ich war mit 18 Jahren ein Jahr lang als Backpackerin in Australien unterwegs“, erzählt sie. Als sie sich dort mit einer Spanierin anfreundet, überredet sie diese kurzerhand: „Sie hatte sich dort verliebt und ich hab‘ ihr gesagt: Komm, wir springen bevor du heiratest.“ Über dem Great Barriere Reef zelebrierten sie ihre Tandem-Sprünge mit Profis, für Lisa tat sich eine neue Welt auf: „Das war einfach Wow. Der komplette Overload von Freude. Für mich war sofort klar: Ich will mehr davon.“
Wie ein Leo. Nach ihrer Rückkehr begann sie mit dem Publizistikstudium, mit 23 hatte sie schließlich nach entsprechender Ausbildung und Prüfung ihre Fallschirmspringerin-Lizenz in der Tasche. Das ist nunmehr rund 1.200 Sprünge her, „seit dem ersten Mal ist es immer schöner geworden“, findet sie. „Es ist die pure Freiheit. Ganz egal, was du vorher im Kopf hast oder dass dein Tag nicht so rosig war, wenn du aus dem Flieger springst, gibt es nur den Moment, das Gefühl vom Fliegen, die Freude. Es ist wie ein Leo.“ Dabei dauert die Freifallzeit im Schnitt nur eine Minute, „aber wenn man fokussiert ist, ist eine Minute länger, als man glaubt“, erklärt sie.
Abgesehen davon, dass ohnehin der ganze Körper angespannt sein muss, während er mit bis zu 200 Kilometer pro Stunde in die Tiefe rast, lässt Lisa die rund 60 Sekunden bis zum Ziehen des Fallschirms aber nicht etwa „tatenlos“ verstreichen. Sie spezialisierte sich auf die akrobatische Disziplin „Free Fly“, bei der man während des freien Falls diverse Figuren im Team absolviert.

Vorreiterinnen. Im Vorjahr ist sie in „Free Fly“ mit einem reinen Frauenteam, dem ersten Österreichs, bei den Staatsmeisterschaften gestartet und erreichte gleich einmal Platz vier. „Ich bin schon lange nicht mehr aufgeregt, weil ich aus dem Flieger springe, sondern weil ich einen guten Sprung hinlegen möchte“, beschreibt sie. „Die Teilnahme im Wettbewerb macht aber vor allem Spaß; wir kennen uns fast alle, abends feiern wir unabhängig vom Erfolg gemeinsam.“
Ihren Heimverein, den Paraclub Wiener Neustadt, erlebte die heute 32-Jährige von Beginn an wie eine zweite Familie. Auch deswegen, weil sie als Frau in dieser Extremsportart für Außenstehende oft als Exotin galt. „Das hat sicher niemand böse gemeint, aber es hat mich immer geärgert, wenn ich gehört habe, dass ich gar nicht wie eine Fallschirmspringerin aussehe.“
Davon dennoch unbeirrt, beginnt Lisa vor gut fünf Jahren parallel auch mit dem Wingsuiten (siehe Infobox). Dabei schlüpfen die Fallschirmspringer in einen Spezialanzug mit Arm- und Beinflügeln, die vielen Luftkammern füllen sich beim freien Fall mit Luft „und du wirst zu einem fliegenden Teppich oder zu einer fliegenden Luftmatratze. Ein unglaublicher Spaß!“ Freilich wird auch hier in einer bestimmten Höhe der Fallschirm gezogen. Die Angelegenheit bedarf allerdings noch mehr Konzentration und Geschick; um überhaupt damit anfangen zu dürfen, braucht es mindestens 200 „klassische“ Fallschirmsprünge.
Für Lisa war das kein Problem. „Ich verbringe während einer normalen Saison von April bis Oktober fast jedes Wochenende am Sprungplatz“, erzählt sie. Da kann es vorkommen, dass man dort einen halben Tag darauf wartet, dass sich das Wetter bessert, oder aber bei idealen Verhältnissen sogar acht bis zehn Sprünge macht. Das geht durchaus ins Geld. „Sonst würde ich vermutlich in einer größeren Wohnung sitzen“, schmunzelt sie. Nachdem Lisa ihren Magister gemacht hatte, absolvierte sie berufsbegleitend einen WU-Lehrgang in Marketing & Sales, seit 2015 arbeitet sie als Marketingmanagerin in einem internationalen Konzern. „Ich bin Vereinsmitglied, ein Sprung kostet 24 Euro. Aber selbst wenn ich als Studentin nur 24 Euro am Konto hatte und das Monat noch nicht zu Ende war, hab ich gesagt: Nimm es und lass mich springen“, lacht sie.
Bis auf eine ordentliche Steißbeinprellung bei einer unsanften Landung ist ihr noch „nichts Wildes“ passiert, wie sie sagt. Auch ihr Freundeskreis blieb bislang von schlimmen Unfällen verschont. „Wenn etwas passiert, dann zumeist weil sich die Leute überschätzen“, weiß sie. „Denn in Wahrheit ist Autofahren gefährlicher als Fallschirmspringen und trotzdem tun‘s alle.“
Als sie feststellte, dass es beim Wingsuiten noch weniger Frauen gibt, hat sie das erst recht angespornt. Nach 100 Wingsuitsprüngen investierte sie in eine Ausbildung zur Coachin, reiste dafür nach Belgien. „Bis heute habe ich sicher schon 25 bis 30 Männern das Wingsuiten beigebracht – und was mich besonders freut: auch einer Frau“, schildert sie.
Dabei verfolgt Lisa Buchner tatsächlich eine tiefgründige Mission. „Ich will möglichst viele Frauen ermutigen, es mit dem Fallschirmspringen zu versuchen. Ich finde es total schade, wenn sich Frauen, aber ebenso Männer etwas nicht zu machen trauen, nur weil es nicht klassischen Rollenbildern entspricht.“
Instagram: Chickenwings_at