People | 13.10.2021
Die Spielwiese pulsiert in ihr

Elf unvergessliche, bewegende Minuten sind das, in denen die junge Regisseurin Kerstin Glachs Mias Geschichte erzählt. Das Mädchen ist erst zehn Jahre alt und doch muss sie sich schon um ihren kleinen Bruder kümmern; ihre Mutter ist alkoholsüchtig.
„Ich selbst trinke sehr wenig“, sagt Miriam Fontaine. Um wahrhaftig nachspüren zu können, was es bedeutet, bereits am Vormittag einen Nebel über die Realität zu legen, übertreibt sie es einmal doch. Ganz bewusst. Zur Vorbereitung zu einem Dreh, der auch die Schauspielerin nachhaltig berührt. Die heute 33-Jährige spielt die alkoholkranke Mutter im preisgekrönten Kurzfilm „Anatomie einer Erinnerung“.
Wenig später steht die Niederösterreicherin erstmals in einer internationalen Produktion vor der Kamera: für den historischen Thriller des Oscarpreisträgers Stefan Ruzowitzky. In „Hinterland“ gibt sie die Frau des Kriminalbeamten Peter Perg, gespielt von Murathan Muslu. Und während der Film am 8. Oktober in den österreichischen Kinos startet, steht Miriam Fontaine in „Die Hexen von Eastwick“ auf der Bühne – und zwar im Weinviertel, wo alles begann.
NIEDERÖSTERREICHERIN: Du bist im Bezirk Mistelbach aufgewachsen. Woran erinnerst du dich gern aus deiner Kindheit?
Miriam Fontaine: An viele Weingärten für endlose Spaziergänge, viel Natur zum Austoben und unseren Garten, aus dem meine Mama bis heute eine wunderschöne Oase gezaubert hat. Ich lebe heute in Wien und liebe die Stadt, aber ich genieße das Heimkommen, mich dort erholen und abschalten zu können.
Du hast ein musisches Gymnasium besucht. War das schon eine bewusste Entscheidung?
Es war für mich relativ früh klar, dass ich später einen künstlerischen Beruf ausüben will. Ich war in der Schule in der Theatergruppe und im Chor, einmal in der Woche gab es Ballettunterricht in unserer Nähe, aber dort, wo ich aufgewachsen bin, waren die Möglichkeiten in meiner Jugend überschaubar (lacht).
Doch du konntest früh auf die Bühne.
Ja! Das Interessante war: Ich war ruhig, introvertiert, bin in der Schule nicht sonderlich aufgefallen und hatte kein besonderes Bedürfnis, privat im Mittelpunkt zu stehen. Das ist bis heute so. Aber auf der Bühne stehen zu dürfen, war wie ein Ventil für mich; dort konnte ich mich austoben.
Also hast du beschlossen, Schauspielerin werden zu wollen. Wie hat deine Familie reagiert?
Meine Mutter war Vollzeit berufstätig, die meiste Zeit Alleinerziehende von zwei Kindern, und trotzdem hat sie mich überall hingefahren oder mich selbst nachts vom Bahnhof abgeholt, wenn ich aus Wien kam. Sie hat mich immer sehr unterstützt und war stolz auf mich, dass ich meinen Weg so klar verfolgt habe.
Wie ging es dir bei deiner Ausbildung?
Ich habe alles hintangestellt und mich nur aufs Studium konzentriert (am Wiener Konservatorium, Anm.). Mir war klar: Ich entscheide mich für einen Weg, den viele wollen und vor allem der für Frauen noch mal schwerer ist. Ich hab‘ Partys abgesagt und all meine Energie und Zeit da reingesteckt. Die Ausbildung selbst war sehr intensiv, körperlich, psychisch und emotional. Es wurden viele Prozesse losgetreten, aber ich liebe das und bin absolut der Typ dafür. Ich muss nur darauf achten, dass ich auch wieder zur Ruhe komme, weil ich eher dazu tendiere, mich zu verausgaben.
Hast du je an deiner Berufswahl gezweifelt?
Überhaupt nicht, nein. Es war hart, ich bin immer wieder an meine Grenzen gekommen, hätte mich manchmal gern verkrochen, aber da war trotzdem immer eine Klarheit, die nie wirklich erschüttert wurde. Kaum hatte ich mein Diplom, war ich hungrig auf neue Inputs und Methoden. Ich bin dann nach Berlin, begann dort mit Method Acting und ging anschließend nach New York …
… um am Lee Strasberg Institute das Method Acting zu vertiefen. Was hat dich da gereizt?
Bei der Methode geht es darum, für eine Rolle aus den eigenen Erfahrungen und Erlebnissen zu schöpfen. Wenn du traurig oder verletzt spielen sollst, musst du in deiner persönlichen Geschichte nach etwas graben, das diese Emotionen in dir hervorgerufen hat. Das war für mich immer der natürlichste Zugang. Ich hab‘ nur gemerkt, dass mir das zu viel wird. Als Schauspielerin ist man ohnehin so offen und verletzlich, wenn man nun bei jeder Probe, jedem Casting, jeder Vorstellung oder jedem Dreh in alten Wunden wühlt, kann das nach hinten losgehen. Ich bin dankbar, dass ich diese Methode gelernt hab‘, aber ich praktiziere sie nicht mehr in der Intensität wie zu Beginn.
Wie hast du in New York gelebt?
(lacht) Zunächst in einem Mini-Zimmer mit sechs Quadratmetern, vollgestopft mit dem Zeug der Vermieterin; das war richtig heruntergekommen. Mit den sinkenden Temperaturen hat es Mäuse und Ungeziefer hineingetrieben, noch dazu wurde ich finanziell über den Tisch gezogen. Ich war damals erst 23, das hat mir viele Nerven gekostet, bis ich in einem Hostel ein zwar ebenso kleines, aber sauberes Zimmer mieten konnte. Das war um Welten besser, aber auch unglaublich teuer.
Wie konntest du das finanzieren?
Ich hab‘ während des Studiums in Wien von Anfang an gearbeitet, ob als Kellnerin oder Hostess, und hatte etwas angespart. Und ich hatte eine Art Sponsorin; eine gute Freundin der Familie, die es toll fand, was ich machte, unterstützte meine USA-Reise.
Wie war die Heimkehr nach Österreich?
Ich war nach einem halben Jahr in New York ein Wrack. Ich war ausgebrannt, musste von Null auf meine Batterien aufladen. Das hat mich auch frustriert: Da hatte ich all diese Inputs fürs Schauspielen, war aber in einem solch fragilen Zustand, dass ich mir sicher war, dass ich keine Arbeit finden werde. Dann kam ich zu einem Casting in die Josefstadt – und wurde prompt genommen. Ich war echt verblüfft, aber es hat mich wahnsinnig gefreut (lacht).
Ich hab‘ unter der Regie von Günter Krämer in „Josef und seine Brüder – Die Berührte“ von Thomas Mann gespielt. Das war sehr spannend! Dabei hab‘ ich auch meinen späteren Mentor kennengelernt: Der Berliner Schauspieler Tonio Arango hat mich quasi als seine Protegé adoptiert (lacht). Wir haben uns immer wieder getroffen, an verschiedenen Szenen und Rollen gearbeitet; ich konnte aus der Arbeit mit ihm sehr viel lernen und mitnehmen. Zudem ist daraus eine ganz tiefe Freundschaft entstanden. Jetzt arbeiten wir an einem gemeinsamen Bühnenprojekt. Ich kann nur so viel verraten, dass wir ein berühmtes Liebespaar aus den 1960ern, 1970ern spielen werden, dessen Beziehung von Leidenschaft, Skandalen, Eifersucht, Glamour und zerstörerischen Süchten geprägt war.
Parallel dazu zieht es dich intensiv zum Film; was fasziniert dich?
Es sind diese Feinheiten, die Details im Spielen vor der Kamera, dass, wenn eine Person auch körperlich total ruhig ist, sich allein schon in den Augen so viel abspielen kann. Das haut mich total um.
Du stehst ab Oktober im Weinviertel auf der Bühne, Ruzowitzkys „Hinterland“ läuft gerade in den Kinos an. Was wünscht du dir für deine Zukunft?
Mich reizt die Vielfalt: möglichst unterschiedliche Rollen zu spielen, je radikaler, je abgründiger, desto besser (lacht). Ich möchte mich laufend weiterentwickeln, ich will mich erforschen und noch tiefer graben, was alles in mir schlummert; das im Film tun zu dürfen, wünsche ich mir sehr.
KURZ NOTIERT
Miriam Fontaine wurde 1988 geboren und wuchs im Bezirk Mistelbach auf; sie hat einen jüngeren Bruder und ihre Mutter, die sie großteils als Alleinerziehende großzog, ist Psychotherapeutin. Ihre Schauspielausbildung absolvierte sie am Vienna Konservatorium, zudem lernte sie in Berlin sowie in New York am Lee Strasberg Institute. Sie spielte unter anderem in mehreren Produktionen am Wiener Theater an der Josefstadt und stand zuletzt beispielsweise für „Tatort: Krank“ (Regie: Rupert Henning), „Hinterland“ (Stefan Ruzowitzky), „Landkrimi Niederösterreich – Vier“ (Marie Kreutzer) sowie für „Meiberger – Der Film“ (Michael Podogil) vor der Kamera. Ab
9. Oktober spielt sie in „Die Hexen von Eastwick“ in Guntersdorf.
www.miriamfontaine.com, www.tww.at