Loading…
Du befindest dich hier: Home | People

People | 12.11.2021

Oft reicht ein Blick

Karin Kuhn brachte die Königsdisziplin Mantrailing nach Niederösterreich: Hunde werden darauf trainiert, den Geruch der vermissten Person unter Hunderten zu erkennen.

Bild 2111_N_FRRettungshund3.jpg
Seit 25 Jahren. Rettungshundeführerin Karin Kuhn mit June und Gillie. Sie blickt auf mehr als 800 Einsätze zurück. (© Rettungshunde NÖ)

Was sie an Tieren fasziniert? Die Frage ist ihr wichtig, darüber möchte sie nachdenken und nicht bloß Eigenschaften aufzählen. Die Antwort findet Karin Kuhn am Nachmittag nach dem Interview, während sie ausreitet und ihre Hundemädels June und Gillie ihr folgen.

„Es reichen ein Blick und leise Worte und die Hunde wissen, was zu tun ist. Egal wie vielen Hasen und Rehen wir begegnen, June ignoriert sämtliches Wild  und Gillie schaut immer wieder zu mir, als wollte sie sagen ,Frauli, ich bin toll, oder?‘“ Die enge Verbindung zur Natur und die vertrauensvolle Beziehung zu ihren Vierbeinern sind Teil der Antwort der Niederösterreicherin, die auf dem Gebiet der Rettungshunde-Einsätze seit 25 Jahren immer wieder Pionierarbeit leistet.

Die Liebe zu Tieren war seit ihrer Kindheit groß, „ich wollte im Zirkus arbeiten und einen Bauernhof haben“, schmunzelt sie. Sie war viel im Freien in Mannersdorf am Leithagebirge, versuchte sogar ihre Katzen zu trainieren. Bereits als Mutter zweier Kinder hört sie von der Rettungshundebrigade und überredet beinahe im nächsten Atemzug ihren Mann, sich einen Hund anzuschaffen. Jana, ein Flat-Coated Retriever, wird 1995 neues Familienmitglied, bereits ein Jahr später beginnt Karin Kuhn mit dem Training für eine Herzensmission, die bis heute dieselbe blieb: vermisste Menschen jeden Alters zu suchen. Später wechselt sie zum Samariterbund St. Pölten, vor fast zwei Jahrzehnten gründet sie mit Gleichgesinnten den Verein „Rettungshunde Niederösterreich“.

 

Bild 2111_N_FRRettungshund5.jpg

(c) Rettungshunde NÖ

Bild 2111_N_FRRettungshund2.jpg

Koordination ist essenziell. Wird eine Person vermisst, werden die Gebiete, in denen gesucht wird, eingeteilt.

 

(c) Rettungshunde NÖ

Gut trainierte Nasen. Die Einsätze werden jeweils unter der Leitung von Polizei und gemeinsam mit der Feuerwehr abgewickelt. Wenn jemand vermisst wird, werden im Land fünf Organisationen, die auf Personensuche spezialisierte Flächensuch- oder Mantrailing-Hunde haben, je nach Lage und Verfügbarkeit alarmiert. Das Konzept dazu stammt von Karin Kuhn.

Das Erstaunliche beim Mantrailing ist, dass der Hund den gesuchten Geruch unter unzähligen herausfiltern und verfolgen kann. „Ich habe das in Deutschland kennengelernt und war so fasziniert, dass wir damit sofort in Niederösterreich begonnen haben. Das ist 18 Jahre her, das kannte hierzulande kaum jemand“, erinnert sich Kuhn.
Drei Jahre Training gingen den ersten Mantrailing-Einsätzen bevor. „Wir waren damals häufig für das Otto-Wagner-Spital in Wien im Einsatz, wenn Patienten vermisst wurden. Die Hunde konnten sehr gut mit dem Geruch von Blutproben arbeiten. Aber für gewöhnlich kommen wir für einen unverfälschten Referenzgeruch nach Hause“, erklärt die Expertin. „Das Mantrailing ist die Königsdisziplin und basiert auf einer intensiven Verbindung zwischen Hund und Führer; besonders schön ist die beidseitige Bereitschaft, einander zu hundert Prozent zu vertrauen.“ Sie war viel mit ihrer Jana unterwegs, als Trümmerhund habe sie sich bei der dramatischen Gasexplosion 1999 in Wilhelmsburg bewährt und später in Algerien. 14 Jahre alt wurde Jana, der Schmerz ist nur verblasst. „Bei jedem Hund stirbt ein bisserl was mit“, sagt Karin Kuhn.

Zu einer Unterbrechung kam es trotzdem nicht. „Bis heute mache ich es so: Wenn meine Hunde etwa sieben Jahre alt sind, bekommen sie Gesellschaft.“ Während sich nun die sanfte June in die Altersteilzeit verabschiedet, ist Gillie bereits voll einsatzfähig.
Bewegend sind die Momente, wenn – wie erst im Vorjahr nahe St. Pölten – Menschen unversehrt gefunden werden. „Ein dementer Mann war verschwunden. Es wurde immer finsterer und die Nächte kühlten schon auf null Grad ab. Der Wind verwehte die Geruchspartikel, es war harte Arbeit für den Hund, bis wir den Mann entdeckt haben. Er war gestürzt und konnte nicht mehr auf, aber es ging ihm gut, das ist ein besonderer Erfolg, der natürlich nur mit einem tollen Team gelingt“, betont sie.

Das Traurige ist, dass nicht alle Einsätze schön enden. „Wir sind mit sehr viel Herz dabei; ich suche, als würde ich meine eigenen Angehörigen suchen, das macht emotional verwundbar“, beschreibt Karin Kuhn. Stundenlang auch nachts finstere Wälder durchstreifen, können freilich nur gefestigte Menschen. Der Austausch über das Erlebte basiert auf einer Peer-Ausbildung. Dass Hund und Mensch körperlich in Topform sein müssen, sieht man bei Karin Kuhn auf den ersten Blick. Und ein besonders genussvoller Trainingsteil findet eben auf dem Rücken ihres Pferdes Pitchoun statt – mit June und Gillie an ihrer Seite.

 

Bild 2111_N_FRRettungshund1.jpg
Kids & Dogs. Projekt für mehr Spaß und Spiele ohne Missverständnisse. (© Rettungshunde NÖ)

Rettungshunde Niederösterreich

Der Verein „Rettungshunde Niederösterreich“ zählt 25 Mitglieder und arbeitet ehrenamtlich, Sitz ist in Sieghartskirchen. Bei einer Vermisstensuche in NÖ können Rettungshunde über 144 alarmiert werden, für Detailfragen kann direkt die Nummer 0664/844 01 01 gewählt werden; der Einsatz ist kostenlos.
Ein Herzensanliegen ist es dem Verein, Kindern den richtigen Umgang mit Hunden näher zu bringen. Das dreistündige Programm „Kids & Dogs“ kann in Sieghartskirchen gebucht werden, das Team kommt auch auf Einladung in Gemeinden oder Schulen. Um das Programm ausbauen zu können, sucht der Verein dringend Sponsoren. Infos & Kontakte: www.rettungshunde.eu