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People | 17.11.2021

Gut gegen graue Wolken

Man hört nur mit dem Herzen gut. Wie der Stil heißt, ist unwesentlich, finden Marie Spaemann und Christian Bakanic. Warum alle kommen, wenn sie spielen.

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Match in der Musik. Die Cellistin und Singer-Songwriterin Marie Spaemann und der Akkordeonist Christian Bakanic – aufgewachsen im Südburgenland – lassen Klassik, Pop, Jazz und Tango verschmelzen. © Ramona Hackl

Metamorphosis. Der Titel weckt Hoffnungen. Und erfüllt sie. Mehr noch. Das Album von Marie Spaemann und Christian Bakanic streichelt nach einem grauwolkigen Tag die Seele, manche Nummern machen schön traurig, andere kitzeln die Sohle. Sie ist Cellistin und Singer-Songwriterin, er ist Akkordeonist (und noch einiges andere mehr); sie spielen und singen virtuos, man kann nicht genug davon kriegen.


BURGENLÄNDERIN: Wieso Akkordeon bzw. Cello?

Christian Bakanic: Ich bin im Südburgenland aufgewachsen, die Buben sind damals entweder zur Blasmusik oder haben Knöpferlharmonika gespielt. Das war mit sieben mein erstes Instrument, Volksmusik meine erste Musik. Mit 14 habe ich mich ins Akkordeon verliebt, nach Mozart und Bach kam gleich Piazzolla, ein Hero darin, mehrere Stile zu verbinden.

Marie: Ich muss kurz einwerfen, dass Christian schon mit zehn die erste Kassette herausgebracht hat.

Christian (lacht): Ich hatte den Steirischen Knopfharmonika-Wettbewerb gewonnen, der Preis waren eine wertvolle Harmonika und die Aufnahme einer eigenen Musikkassette.

Marie, wie hast du zur Musik gefunden?

Marie: Meine Mama ist Klavierlehrerin und hat mich von klein auf in Konzerte mitgenommen. Ich wollte schon mit sechs Cello lernen, es war das coolste Instrument im Konzertsaal. Aber ich war zart, ich musste noch ein Jahr warten.

Wie war es dann?

Marie: Aufregend! Ich hatte einen großen, sehr autoritären Lehrer. Die ersten paar Male hat es mich auch Überwindung gekostet, in die Stunde zu gehen, bis ich verstanden habe, dass er mir nix tut, sondern nur streng ist (lacht).

Hat dich das nicht abgeschreckt?

Marie: Nein, ich dürfte schnell Feuer gefangen haben.

Christian: Das war bei mir auch so. Ich musste nicht zum Üben motiviert werden. Das Spannende ist: Meine Eltern waren nicht musikalisch und ich habe fünf Geschwister, die alle kein Instrument spielen. Es war wirklich mein Wunsch.

***

Wann ist die Musik in den Mittelpunkt des Lebens gerückt?

Christian: Ich wollte Musiker werden, seit ich zwölf war.

Marie: Ich habe ab 13 an Wettbewerben teilgenommen, hab’ mit 17 einen Vorbereitungslehrgang für die Musikuni gemacht. Aber: Ich hatte eine Abneigung zu sagen, dass ich beruflich Musik machen will. Ich habe gerne getanzt, geschauspielert und mich für Sprachen interessiert. Dann dachte ich mir, ich mache ein Erasmus-Jahr bei einem tollen Professor, aufhören kann ich danach noch immer (lacht). Es kam anders. Valter Dešpalj war streng, aber er hat sich dafür interessiert, wer hinter dem Instrument sitzt. Ich habe gelernt, wie ich mich mit Musik ausdrücken kann. Die Zeit in Zagreb wurde zum Game­changer und aus einem Jahr wurden vier.

Christian: Deswegen kann Marie jetzt besser Kroatisch als ich, obwohl ich den kroatischen Namen habe (lacht).

***

Impressionen
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Die Suche in der Musik hört nie auf, sonst bist du ein musealer Wächter.

Christian Bakanic, Akkordeonist und Komponist

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Läuft. Nach dem ersten Album „Metamorphosis“ (2020) arbeitet das Duo bereits am zweiten.

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Ob es noch ein Liebeslied braucht? Ja! Die Menschen wollen fühlen, relaten, spüren.

Marie Spaemann, Cellistin und Singer-Songwriterin

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Wann habt ihr euch dafür geöffnet, selbst zu komponieren?

Christian: Mit zehn. In der Volksmusik und im Jazz gehört Improvisation dazu; man lernt ganze Stücke ohne Noten. Ein super Zugang in der Musik.

In der Klassik wohl weniger.

Marie: Kaum denkbar (lacht).

Christian: Das ist verloren gegangen. Noch in der Barockzeit war es üblich, dass Musiker viel improvisiert haben.

Marie: Langsam bricht auch in der Klassik was auf. Als ich studiert habe, war Kreativität nicht gefragt, es ging um möglichst perfekte Interpretation. Dementsprechend spät kam das Schreiben bei mir. Ich sage bis heute, dass ich die Songs schreibe, nicht komponiere.

Christian: Das ist auch Komponieren, es ist nur eine Frage der Definition.

Marie: Was mich selbst überrascht hat: Das Cello ist mein Ur-Instrument, aber wenn ich schreibe, gibt meine Stimme den Ton an, das Cello ordnet sich unter. Ich hab’ damit mit Mitte 20 begonnen – nach einer langen Reise.

Was war das für eine Reise?

Marie: Zu einem Entwicklungshilfe-­Projekt in Westafrika. Als ich zurückgekommen bin, habe ich mir sehr schwergetan, wieder in die Klassikwelt einzusteigen, sie fühlte sich elitär an.

Christian: Hattest du da eine Krise?

Marie: Eher eine Art Sinnfrage.

Wie hast du die Reise erlebt?

Marie: Schön, überwältigend, sie hat viel in mir verändert und ich wusste zuerst nicht, wie ich weitermachen will.

Kennst du auch einen solchen Cut?

Christian: Es gibt kaum einen Musiker, der nicht irgendeine Art Einschnitt erlebt hat. Bei mir war es nach dem Studium. Ich hatte schon meine Ensembles und trotzdem kam die Krise. Da war es mitunter heftig, auf der Bühne zu stehen, es war wirklich eine dunkle Phase, ich habe auch einige Projekte beendet.
Mein Glück war, dass ich zu dem Zeitpunkt Zivildienst machen konnte. Ich wollte mein Leben lang Musiker werden, ich kannte aber auch nichts anderes. Ich war dann in einer Behindertenwerkstätte, das war schön und sinnvoll. Ich habe menschlich viel gelernt und zur Musik zurückgefunden.

Marie, was hat dich zurückgeführt?

Es hat sich schnell gezeigt, dass mir das kreative Schaffen fehlte. Irgendwann habe ich Gesangsunterricht genommen und gelernt, dass ich mich selbst auf den Weg machen muss. Also streckte ich meine Fühler aus, probierte einiges aus, spielte in vielen Formationen …

Christian: So sind wir einander begegnet – bei einem Projekt von Christoph Pepe Auer, einem Jazzer, der ständig auf der Suche nach Neuem ist. Das muss so sein, das hat uns Miles Davis gelehrt. Die Suche hört nie auf, sonst bist du ein musealer Wächter. Wir waren dann mit dieser Band gemeinsam auf Tour, haben darüber geredet, wie super die Besetzung Akkordeon und Cello ist …

… und ihr habt einen Versuch gewagt.

Christian: Wir konnten gemeinsam sofort konsequent arbeiten und es hat großen Spaß gemacht.

Marie: Es war stimmig und hatte viel Leichtigkeit. Wir sind beide vielseitig und mussten erst unseren Duo-Stil finden, jetzt haben wir – wenn auch einen breiten – „Common Ground“ (lacht).

Wie beschreibt ihr den?

Christian: Wir versuchen, Klassik, Pop, Jazz, Tango und Folk so zu vermorphen, dass die Nummern harmonisch sind.

***

Was bedeutet euch die Musik?

Christian: Musik macht mich glücklich. Ich habe schon als Kind beim Üben gemerkt, dass mich die Energie stärkt. Das Publikum tut mir zusätzlich gut: Ich kann Menschen etwas schenken, eine Win-win-Situation.

Marie: Ich habe mich manchmal gefragt, ob man das 157.000. Liebeslied braucht. Ja! Die Menschen wollen fühlen, relaten, spüren. Die lebendige Erfahrung kann kein Streaming-Konzert ersetzen.

***

Hat euch diese Situation verändert?

Marie: Ich bin wieder mehr damit beschäftigt, meine Zeit und Kräfte einzuteilen. Ich habe schon eine Phase erlebt, in der sich das nicht mehr ausgegangen ist. Ich war als Solistin mit einer riesigen Show auf Tour. Irgendwann bin ich vor 8.000 Leuten gesessen und war völlig überreizt …

Du meinst: Gerade im freischaffenden Metier muss man auch die Disziplin haben, irgendwann zu sagen …

Marie: … es geht nicht mehr. Aber gerade seit der Pandemie, als man nicht mehr wusste, was findet statt, was nicht, ist es oft so: Dein Kalender ist schon komplett voll, es kommt eine Anfrage, die super ist …

Christian: … und du sagst zu. Ich kenne das (lacht).

Wie ihr Stile verknüpft, ist für viele neu. Wer kommt in eure Konzerte?

Christian: Es entsteht gerade ein neues Publikum: Das sind Menschen, die zu Klassikfestivals gehen, aber auch gerne zu uns kommen, weil wir die Musik neu interpretieren. Dann gibt es auch offene Jazzer oder Leute aus der Songwriting- und Pop-Szene …

Marie: Und ganz super: junge Leute, die gar nicht viel mit Musik am Hut haben. Erst kürzlich hat ein Mädel am Klo zu mir gesagt: „Ich liebe eure Message.“

Christian: Die Grenzen verschwimmen, das ist gut. Im Endeffekt ist es Musik, wir alle wollen berühren.


www.mariespaemann.com

www.christianbakanic.com

Wordrap mit Marie & Christian

Die schönste Musik …

Marie und Christian unisono: Bach

Musik deiner Jugend …

Christian: Nirvana

Marie: Bei mir waren es zuerst Back Street Boys (lacht), später Tic Tac Toe, Eminem und Jazz.

Angenommen, du würdest wiedergeboren, was willst du sein?

Christian: Hauskatze bei einem gemütlichen Menschen mit Biokatzenfutter.

Marie: In der Tierwelt ein Delfin, als Mensch Tänzerin, dann Dolmetscherin.

Eine Leidenschaft, die man bei dir nicht vermuten würde …

Christian: Tennis. Ich habe erst vor Kurzem begonnen und liebe es.

Marie: Ich lese sowohl Trash-News von Stars als auch Hermann Hesse.

Das macht mich glücklich …

Christian: Musik, meine Familie, dass ich das Glück habe, in einem friedlichen Land zu leben. Dass es woanders nicht so ist, macht mich traurig.

Marie: Die vielen kleinen Momente: auf der Bühne, wenn man nach einer Tour wieder seine Liebsten sieht, ein Treffen mit einer Freundin.