People | 26.11.2021
Dann ging die erste Tür auf

Es war, wie wenn man versucht, ein Eis möglichst langsam zu schlecken. Es überlistet einen und schmilzt doch. So wie auch die Seiten von „Esther und Salomon“ rasant weniger wurden, so sehr ich mich zwang, langsamer zu lesen.
Elisabeth Steinkellner lässt kurze Texte über die Seiten ihres neuen Buchs tanzen, es ist ein Jugendroman, der ganz behutsam und gleichzeitig kraftvoll nicht nur eine erste Liebe beschreibt. Dazwischen tauchen in der ersten Hälfte Polaroids, die die Autorin selbst machte, mit handgeschriebenen Zeilen auf. Sie ist der Perspektive der 14-jährigen Esther gewidmet, die zweite Hälfte erlebt man aus dem Blickwinkel des ungefähr gleichaltrigen Salomon. Bemerkenswert schöne Zeichnungen von Michael Roher bilden hier die Gesellschaft für den Text.
Sie tragen unterschiedliche Namen, aber beide einen Ring, das fällt im Gespräch in ihrer Wohnung in Baden auf, wo wir sie besuchen dürfen. „Wir sind verpartnert“, erklären sie dann. Als ein Zeichen der Solidarität. Das Heiraten kam für sie nicht in Frage, „weil es zu dem Zeitpunkt in Österreich noch nicht alle durften“.
Michael Roher ist Autor und Illustrator, Elisabeth Steinkellner Autorin. Sie gelten als „Traumpaar der Kinder- und Jugendliteratur“, sie selbst würden sich nie so bezeichnen. Sie haben kein Smartphone und sind auf ganz sympathische Weise sozusagen rampenlichtscheu.
Auf dem charmant knarrenden Parkettboden stehen liebevoll restaurierte alte Möbel, vieles stammt aus der Familie, einiges von Flohmärkten, an den Wänden hängen hinreißende Heldinnen und Helden, die man teilweise ihren Werken zuordnen kann. Im Kinderzimmer ragt ein bunter Legoturm in die Höhe. Dass er mitbauen darf, kommt Michael Roher gelegen. „Der kindliche Anteil ist gut ausgeprägt bei mir“, schmunzelt er. Mindestens legoturmhoch ist der Stapel an Büchern, die aus ihrer beider „Federn“ stammen, dabei nahm ihre literarische Laufbahn erst vor ein bisschen mehr als zehn Jahren ihren Anfang. Offiziell.
Die Sehnsucht, sich kreativ auszudrücken, war viel früher da. Elisabeth Steinkellner wuchs in Kirchberg am Wechsel auf; dort schrieb sie schon in jungen Jahren, aber nur für sich. Michael Roher trug als Schüler des Kremser Piaristengymnasiums seine Comics immerhin in den Copyshop, um sie zu vervielfältigen. „Ich habe mir lange überlegt, eine grafische Ausbildung zu machen und die Idee nur verworfen, weil ich so ungern am Computer arbeite. Ich hab‘ immer nach analogen Möglichkeiten gesucht, die Leidenschaft zu zeichnen zum Beruf zu machen. Sogar mit der Idee vom Tätowierer habe ich gespielt“, lacht er.
Die beiden begegnen einander vor ziemlich genau 20 Jahren bei ihrer sozialpädagogischen Ausbildung und entdecken bald magische Parallelen. „Ich wollte als Kind unbedingt Zirkusartistin werden und dann lerne ich Michael kennen, der schon immer viel Artistik betrieben hat. Wir haben später sogar gemeinsam Akrobatikkurse gemacht und überlegt, als Straßenkünstler durch die Welt zu ziehen“, verrät Elisabeth Steinkellner. Das Kolleg in Wien prägt sie stark in ihrer Persönlichkeitsentwicklung und setzt viel schöpferische Energie frei. Eine Abschlussarbeit besteht darin, ein Kinderbuch zu verfassen. „Das brachte mich auf eine neue Idee: Das Illustrieren könnte mein Weg sein“, erinnert sich Michael Roher.
Nach dem Abschluss folgt – nunmehr als Paar – eine gemeinsame (Orientierungs)Reise durch Europa inklusive einem „Abstecher“ nach Neuseeland. „Wir waren ein halbes Jahr mit dem Rucksack unterwegs, da habe ich beschlossen, mich an der ,Grafischen‘ für den Zweig Fotografie zu bewerben“, sagt Elisabeth Steinkellner. Als es nicht klappt, entscheidet sie sich kurzerhand für ein Studium der Kultur- und Sozialanthropologie, ein wissenschaftliches Feld, das sie komplett in seinen Bann zieht, beschreibt sie.
Das Unterwegssein inspiriert Michael Roher, er bringt gleich mehrere Ideen zu Papier, doch einen Verlag, um die Bücher zu realisieren, findet er vorerst nicht. „Das Illustrieren zu verfolgen, war aber trotzdem im Kopf.“ Also produziert er selbst in kleinen Auflagen und verkauft die Bücher auf Weihnachtsmärkten. Die Resonanz gibt ihm Auftrieb. Diesmal will er es beim renommierten Illustrationswettbewerb „Romulus-Candea-Preis“ versuchen und weil ihm spontan kein Text einfällt, bittet er seine Partnerin. Elisabeth Steinkellner schreibt also ihr erstes Buch mit dem Titel „An Herrn Günther mit bestem Gruß“ (Jungbrunnen Verlag), Michael Roher illustriert die pointierte Geschichte. Das Buch der Newcomer erhält auf Anhieb eine Nominierung, „damit gingen die ersten Türen auf“, sagen sie. Als 2010 „Fridolin Franse frisiert“ (Picus Verlag) erscheint, regnet es förmlich Preise.
Elisabeth Steinkellner wird mit dem Studium fertig, überlegt, ins Ausland zu gehen. Doch da ist dieser helle Lichtstrahl, der durch den Spalt der ersten Verlagstüren einladend auf sie fällt. „Ich hätte mich gut in der Kultur- und Sozialanthropologie gesehen, aber mir wurde schlagartig klar, in welche Richtung ich gehen musste: Das Schreiben war viel länger eine Art Wunschtraum. Da tat sich eine Chance auf, die ich aktiv nicht mal gewagt habe zu suchen, ich musste sie ergreifen.“
Längst avancierten das Illustrieren bzw. das Schreiben von Kinder- und Jugendbüchern zum Hauptberuf, die Rezensionen sind über Österreichs Grenzen hinaus Lobeshymnen. Dass das Paar im selben Bereich arbeitet, birgt freilich oft auch Hürden. Als zweifache Eltern gehören Lesereisen minutiös abgestimmt, das künstlerische Arbeiten daheim erfordert viel Disziplin. Dabei wechseln sie einander ab, „wenn Elisabeth Arbeitszeit hat, ist klar, dass ich für Kinder und Haushalt verantwortlich bin“, sagt Michael Roher. „Wir müssen aufpassen, dass wir unsere Arbeit – dazu gehören auch viele Mails und Organisation – nicht in die Familienzeit verschleppen, das ist schwierig. Oft sitzen wir noch spät abends oder auch an den Wochenenden“, ergänzt Elisabeth Steinkellner.
Gleichzeitig seien die Überschneidungen und das Verständnis für den jeweils anderen ein Geschenk. „Ob ich nun schreibe oder illustriere, ich schätze Elisabeths Feedback sehr. Im ästhetischen Empfinden sind wir uns sehr ähnlich“, sagt Michael Roher. Wenn hingegen Elisabeth Steinkellner im Schreibprozess weniger erzählt, „hat das den Grund, dass ich Michael als Testleser brauche“, lacht sie. Besonders schön erlebt das Paar weiterhin gemeinsame Projekte, „Michaels Stil, wie er meine Geschichten illustriert, begeistert mich immer wieder.“
www.elisabeth-steinkellner.at, mischa-loewenzahn.blogspot.com