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People | 25.02.2022

Das wichtigste Gespräch

Einzigartige dokumentarfilmische Arbeit: Fabian Eders Kinofilm „Der Schönste Tag“ und die Serie „Sprich Mit Mir“ basieren auf Dialogen zwischen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und ihren Enkelkindern. Der Filmemacher über sein jahrelanges Projekt, das sein Leben nachhaltig beeinflusst.

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Engagiert gegen das Vergessen. Katharina Stemberger und Fabian Eder, privat ein Paar, produzierten Kinofilm und Serie. (© Daniela Matejschek)

„Meine Frau hat nach dem Krieg erst wieder einen Menschen aus mir gemacht“, sagt Aba Lewit, während die Landschaft am Zugfenster an ihm und Fabian Eder vorbeizieht. Der Filmemacher sitzt ihm hierbei nicht als solcher gegenüber; er recherchierte bewusst nicht, seine Fragen sollten möglichst intuitiv sein, wird er später erklären. Das Gespräch soll sich harmonisch in jene insgesamt 23 Dialoge zwischen Zeitzeuginnen und Zeitzeugen und ihren Enkeln – darunter viele aus Niederösterreich – fügen, die das Herzstück seiner bemerkenswerten dokumentarfilmischen Arbeit bilden.
Die wachen, immer wieder tränenfeuchten Augen von Aba Lewit strahlen, wenn er an seine Frau denkt. 60 Jahre lang wichen er und die geborene Mathilde Kohn einander nicht von der Seite, dabei gestaltete sich ihre erste Begegnung nicht gerade erfolgversprechend. Es dürften die falschen Worte gewesen sein, die Aba Lewit wählte, als er ihr eine Tafel Schokolade überreichte; jedenfalls brachte ihm der Auftritt eine Ohrfeige und eine Zurückweisung ihrerseits ein. Daraufhin fand Aba Lewit: Sie ist die Frau fürs Leben. Ihre Hochzeit fand 1948 statt, bis zu ihrem Tod 2007 waren sie glücklich verheiratet.

Schmerzen und Schweigen. Mathilde Kohn überlebte das KZ Auschwitz und das KZ Ravensbrück; Aba Lewit überlebte das KZ Mauthausen. Darüber sprachen die beiden nicht.
Erst in den 1990er-Jahren konnte Aba Lewit sein Schweigen brechen. Als einer der letzten jüdischen Überlebenden des KZ Mauthausen engagierte er sich als Zeitzeuge, ging in Schulen, gab Interviews, die der Aufarbeitung dienten.
Im Herbst 2020 starb Aba Lewit, das Gespräch mit Fabian Eder ist somit eines der letzten Filmdokumente eines Kämpfers gegen das Vergessen.
Bis zuletzt quälten ihn Bilder, die eigene Schwester nicht gerettet haben zu können und die des eigenen Überlebenskampfes, viele Jahre ständig der sadistischen Willkür der SS ausgesetzt gewesen zu sein. „Die haben uns mit Sachen gequält, auf die ein normaler Mensch gar nicht kommt, das müssen Teufel gewesen sein, anders kann man sich das nicht vorstellen“, sagt Aba Lewit.

„Wenn man sich mit dem Holocaust beschäftigt, gelangt man an Fragen, die man weder beantworten, noch begreifen kann“, sagt Filmemacher Fabian Eder.
Umso wichtiger ist es, sie zu stellen. Dieser Überzeugung verleiht er mit dem dokumentarischen Projekt Ausdruck, an dem er mehrere Jahre arbeitete und das jetzt ins Kino kommt. Es besteht aus zwei großen Teilen: aus dem Kinofilm „Der schönste Tag“ (Publikumspreis der Diagonale 2021) und der Serie „Sprich Mit Mir“ (siehe Info).

 

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Bewegend kraftvoll. Fabian Eder sprach mit Aba Lewit. Er war einer der letzten jüdischen Überlebenden des KZ Mauthausen. (© Stadtkino Filmverleih)

NIEDERÖSTERREICHERIN: Wie fanden Sie die Großeltern-Enkelkinder-Paare?
Fabian Eder: Wir suchten ja sowohl Paarungen aus der Gruppe der Opfer wie auch aus jener der Mitläufer. Es war von vornherein unser Anliegen, diese Narrative einander gegenüber zu stellen und mit jener Erzählung zu vergleichen, in der sich das offizielle Österreich versucht. Dabei hat uns zum einen der Nationalfonds der Republik Österreich für die Opfer des Nationalsozialismus und ganz besonders seine Direktorin Hannah Lessing sehr geholfen. Meine Frau Katharina (Stemberger, Anm.) ist seit vielen Jahren in der Gedenk- und Erinnerungsarbeit engagiert, was uns ebenfalls sehr half. An die sogenannten Mitläufer-Familien heranzukommen, war ungleich schwieriger. Viele wollten gar nicht, die meisten nicht vor der Kamera reden. Wir haben uns durchgefragt und viel telefoniert. Alle, die schlussendlich teilgenommen haben, haben einen großen Beitrag geleistet.

Wie haben Sie die Dialoge erlebt und verarbeitet?
Für mich war das eine sehr intensive Zeit; die Geschichten, die wir hören durften, sind so vielfältig, so berührend, klug, bereichernd. Aber sie hinterlassen auch immer wiederkehrende Fragen, die mich seither begleiten. Wie konnte es soweit kommen? Wie kann der Mensch zu solchen Taten fähig sein? Nach den Dreharbeiten war ich sehr dünnhäutig und durchlässig.

 

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Großvater. Heinz Krausz – er lebt in Niederösterreich – beschreibt seinen Weg nach Palästina, wohin er vor den Nationalsozialisten in Sicherheit gebracht wurde. Seine Mutter wurde nach Auschwitz deportiert und konnte überleben, seine Großeltern wurden ermordet.

(c) Fabian Eder/Backyard

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Enkel. Er stellt seinem Großvater die Fragen und hört ihm zu: Theo Krausz. Ort der Gespräche war jeweils ein Zugabteil – als Metapher für eine Art Zwischenraum, wo alles gefragt werden darf.

(c) Fabian Eder/Backyard

Was war überraschend für Sie?
Überraschend war, dass ich Liebespaare in dem Zugabteil gesehen habe, Liebespaare mit vielen Jahrzehnten Altersunterschied. Die jüngste Teilnehmerin war zwölf, sie sprach mit ihrer 94-jährigen Uroma, der älteste Teilnehmer war zum Zeitpunkt der Aufnahmen 104 Jahre und hat es sich nicht nehmen lassen, selbst mit dem Zug anzureisen. Die Protagonisten sind unglaublich liebevoll und aufmerksam miteinander umgegangen.

Was war Ihr Antrieb, etwas so Aufwändiges zu machen?
Die Traumata, die durch den Holocaust entstanden sind, sind tiefgreifend. Wir wissen heute, dass sie über Generationen hinweg nicht nur nachwirken, sondern übertragen werden. Egal, ob die Vorfahren zu den Opfern oder Tätern gehört haben. Und wir wissen heute auch, dass gerade das Schweigen diese Weitergabe nicht zu unterbrechen vermag, im Gegenteil. Darum wollte ich den Dialog zwischen den Generationen festhalten. Ohne Moderator, ohne Historiker, ohne Korrektiv. Privat. Und das alles mit sechs Kinofilmkameras und 13 Dolby Tonspuren. Knapp 60 Terrabyte umfasst das Originalmaterial. Was wir gemacht haben, gibt es in der Form nicht. Es ist ein Beitrag für diese und kommende Generationen. Daher habe ich den Film gemacht.

Was haben Sie von Aba Lewit gelernt?
Aba Lewit hat keine Enkelkinder. Er erklärte sich damit einverstanden, dass ich stattdessen mit ihm spreche. Zuerst wollte ich mich auf das Gespräch vorbereiten, aber dann dachte ich: Nein, du darfst ihm nur so gegenübertreten, als ob du ihm zufällig im Zug begegnest. Ich habe mich vor Informationen über sein Leben abgeschottet. Was er mir erzählt hat, hat mich mit einer Wucht getroffen, auf die ich nicht vorbereitet war, und es wirkt bis heute nach. Das Gespräch, das ich mit Aba Lewit führen durfte, war das wichtigste Gespräch in meinem Leben.

Gelernt habe ich, dass man nicht aufgeben darf. Niemals. Man darf seine Würde nicht aufgeben und schon gar nicht das, was einen zu Menschen macht. Man darf nicht aufhören, das Unrecht präzise und unnachgiebig zu benennen. Man darf die Konfrontation nicht scheuen. Ich habe gelernt, dass es die Aufgabe jedes Einzelnen ist, tagtäglich dafür zu sorgen, dass so etwas Unbeschreibliches nicht wieder passiert. Heute, morgen und in Zukunft. Es kann jederzeit wieder passieren, wenn wir es nicht aktiv verhindern. Es ist nicht vorüber, wir dürfen es auch nicht ruhen lassen. Niemals.

Ihre persönliche (Wunsch)Mission mit dieser filmischen Arbeit?
Der Film ist nicht nur aktuell, er ist geradezu brisant. Debatten sind in den letzten Jahren zu Schlachtfeldern geworden, auf denen es immer einen Sieger geben muss. Die Täter beginnen ihre Untaten mit Worten. Gerade in diesen Tagen wird von allen Seiten dem jeweiligen „Gegner“ geradezu inflationär unterstellt, ein „Nazi“ zu sein. Dadurch wird der Nationalsozialismus relativiert und verharmlost. Handelt es sich dabei um Geschichtsvergessenheit, mangelnde Bildung oder parteipolitisches Kalkül? Es ist jedenfalls nicht neu und die Wurzel dieses Übels liegt in der Art, wie schlampig wir mit der Erzählung unserer Geschichte nach 1945 umgehen. Durch das Sterben der letzten Zeitzeugen vergrößert sich diese Gefahr.

Wenn sich auch nur ein einziger Zuschauer nach dem Film die eine oder andere Frage stellt, war es wert, den Film gemacht zu haben. Und wenn ich mir was wünschen dürfte, dann wünsche ich mir, dass es die richtigen Fragen sind.

 

 

 

Kino in der Schule

Fabian Eders dokumentarfilmische Arbeit „Der Schönste Tag“ ist am 28. Jänner 2022 im Kino angelaufen; veranstaltet werden dazu eine Reihe von Sondervorstellungen mit Diskussionen. Sowohl der Kinofilm als auch das Serienformat „Sprich Mit Mir“ – eine Episode dauert 50 Minuten – können für Schulvorstellungen, Sondervorstellungen, Kooperationen inklusive Gespräche mit dem Filmemacher Fabian Eder gebucht werden.

the-last-dialogue.backyard.at