People | 07.04.2022
Mit Kind & Kegel in Reichenau

Ich sitze im Flugzeug direkt neben ihr und dem Piloten, so lebhaft vermag Maria Happel im Interview zu erzählen. Ihre Finger umklammern ängstlich die Armlehne, als sie die Turbinen starten hört, das Fliegen ist nicht das ihre. Der alte Herr neben ihr lächelt zufrieden. „Das ist Musik in meinen Ohren, Fliegen ist meine Leidenschaft“, ahmt die Schauspielerin nun seine sonore Stimme nach. „Ich war Pilot bei der Lufthansa, aber da durfte ich nur bis 60 fliegen. Dann bin ich nach Italien, die Italiener ließen mich fliegen, bis ich 65 war. Dann bin ich nach Nigeria, da durfte ich bis 70 fliegen.“ – „Oh, da haben Sie Ihre Arbeit sehr geliebt“, antwortete sie darauf. „Wissen Sie was, ich hab‘ in meinem ganzen Leben nicht gearbeitet“, entgegnete er ihr.
Maria Happel erzählt gerne von dieser Begegnung; in der Auffassung des Piloten spiegelt sich ihr Credo wider: „Wenn man etwas mit Leidenschaft macht, genießt man ein sehr glückliches Dasein.“
Der reichhaltig gefüllte künstlerische Korb der beliebten Theater-, Film- und Fernsehschauspielerin enthält seit Kurzem eine weitere große Aufgabe.
NIEDERÖSTERREICHERIN: Sie spielen und inszenieren seit mehr als 20 Jahren in Reichenau – vor wenigen Monaten übernahmen Sie die künstlerische Leitung. Wie kam es dazu?
Maria Happel: Das Land bzw. die NÖKU (NÖ Kulturwirtschaft GesmbH, Anm.) hat mich gefragt, ob ich zur Verfügung stehe; diese Überlegung gab es schon mit den Vorgängern. Früher konnte ich mir das nicht vorstellen, da war ich noch ein Hansdampf in allen Gassen. Aber … (überlegt kurz) das bin ich wahrscheinlich mein Leben lang (lacht). Klar, ich werde nicht jünger, aber ich habe immer ein großes Vertrauen darauf, dass sich die Dinge fügen. Das passiert jetzt in Reichenau in besonderer Weise. Natürlich muss ich auch gucken, wo mal eine Lücke ist, dass ich mal das Handy verstecke und mit meinem Mann sein kann. Aber ich habe sofort ja gesagt. Weniger ist es nicht geworden, aber ich kann aus jahrelanger Arbeit vieles zusammenführen.
Wie beispielsweise in der Zusammenarbeit mit Torsten Fischer …
Ich war 23, als ich in Bremen das erste Mal Édith Piaf spielte, Torsten Fischer war der Regisseur. Als meine Tochter Paula (Nocker, Anm.) nun vor zwei Jahren die Lucy in „Die Dreigroschenoper“ war, auch mit 23, führte er Regie, so sind wir einander nach vielen Jahren wieder begegnet. Ich habe ihn gefragt, ob er Cechovs „Die Möwe“ inszenieren möchte, er sagte sofort zu.
… und es schließen sich noch weitere Kreise, wie Sie sagen.
In meinen Theateranfängen in Bremen lernte ich auch Stefan Jürgens kennen, den ich dann bei „SOKO Donau“ wieder getroffen habe. Letztes Jahr hat er zu mir gesagt, er macht jetzt nur noch Sachen, die ihm wirklich Freude machen. Umso schöner ist es, dass er gar nicht lange überlegt hat: Er spielt in Reichenau den Harras in „Des Teufels General“.
Ihr Herzensanliegen: Renommierte Schauspielerinnen und Schauspieler arbeiten mit Newcomern zusammen. In welcher Form?
Mit „Peter und der Wolf“ zeigen wir in Reichenau erstmals ein Familienstück – mit Studierenden der Universität für Musik und Darstellende Kunst. Das Gleiche haben wir bei „Frühlings Erwachen“, wo junge Künstlerinnen und Künstler vom Max Reinhardt Seminar auftreten werden. Ich freue mich, dass wir Christian Berkel als Regisseur gekriegt haben. Das ist für die Jungen eine ganz tolle Möglichkeit, mit einem Star zusammenzuarbeiten, der mit Leuten wie Brad Pitt dreht.
Eine starke weibliche Besetzung kommt bei der Komödie …
Auch eine Neuerung, wenn man so will: Es wird erstmals einen Neil Simon geben, der schon in den 1990er-Jahren weitsichtig sein „Das ungleiche Paar“ – man kennt den Film „Ein seltsames Paar“ mit Walter Matthau und Jack Lemmon – auch für Frauen geschrieben hat. Angelika Hager verlagert die Geschichte nach Reichenau, statt Poker spielen Fanny Stavjanik, Petra Morzé, Mercedes Echerer, Cornelia Köndgen und Karin Kofler Trivial Pursuit. Das wird sehr cool!
So wie eh und je, kommen Sie heuer – das ist Ihre charmante Wortwahl – mit Kind und Kegel: Ihr Mann Dirk Nocker wird spielen, ebenso Ihre Tochter Paula. Wie geht es Ihnen damit, dass sie auch Ihren Weg eingeschlagen hat?
Wir hatten gedacht, wir hätten es schon geschafft (lacht). Sie hat sich vehement gegen den Beruf gewehrt, den die Eltern machen. Dann beschloss sie doch, Schauspielerin werden zu wollen, schied aber bei der Aufnahmeprüfung in der letzten Runde aus. Sie war sehr traurig. Ich habe ihr zugeredet, weil sie so toll mit Kindern kann, an der Pädagogischen Hochschule zu studieren. Das hat sie gemacht, ich fand das großartig.
… bis die Anfrage vom Theater in der Josefstadt kam.
Genau ihre Stimme war gefragt. Gesungen hat sie immer, aber ich habe das nicht so mitbekommen, weil sie nur gesungen hat, wenn ich nicht da war. Dann hat sie die Rolle der Lucy bekommen und als ich im Theater saß, konnte ich mir gar nicht vorstellen, dass das meine Tochter ist. Sie hat sich total verändert. Sie war zuvor zurückhaltend, schüchtern, hatte Flugangst – die „Dreigroschenoper“-Probenzeit setzte etwas frei, das davor verschüttet war. Sie hat sich ihren Ängsten gestellt, nimmt jetzt Flugstunden und ist fix im Ensemble.
Sie erhielt sogar den Nestroy Preis als bester Nachwuchs. Welchen Weg geht Ihre jüngere Tochter Annemarie?
Sie macht gerade die Matura, danach plant sie, für einige Monate beim Roten Kreuz zu arbeiten, das finde ich ganz toll. Im Sommer wird sie in Reichenau beim Einlass mitarbeiten.
***
Das Interview wird von meinem bellenden Zwergpudel-Welpen unterbrochen, ich entschuldige mich: „Süß ist er, aber aktiv wie ein Zirkushund“, erkläre ich – Maria Happel lacht und verzeiht.
***
Maria Happel: Apropos Zirkus, dazu muss ich Ihnen etwas erzählen. Als ich schwanger wurde, dachte ich mir: Wie soll das gehen?! Ich traute mich zuerst gar nicht, das dem Peymann (damals Burgtheater-Direktor, Anm.) zu sagen. Eines Tages kam ich zu einer Varieté-Probe rein und sah eine Artistin, wie sie auf einem Schlappseil trainierte, während ihr Baby auf ihrem Bauch lag. Ich werde dieses Bild nie vergessen und es hat mich immer darin bestärkt, meine Mädchen auch viel mitzunehmen; sie spielten oft in Reichenau. Für mich ist das ganze Theater Familie. Ich erinnere mich gut an Annemaries erstes Jahr dort: Ich hatte einen Klettverschluss in der Bluse, damit ich sie stillen konnte und ein Kollege hängte das Maxi Cosi mit Gummibändern, die man sonst für Koffer verwendet, an eine Kleiderstange. Alle, die bei ihr vorbeigingen, schubsten sie liebevoll an (lacht).
Was war Ihnen als Mutter wichtig?
Dass die Kinder einen guten Vater haben, der ihnen Gute-Nacht-Geschichten vorliest, wenn ich nicht da bin. Er hat viel vorgelesen und auch leidenschaftlich gerne. Wenn ich heute sage: Ach Gott, die Zeit gibt mir keiner mehr, dass ich nicht da war, sagt er: „Die Zeit nimmt mir keiner mehr, die ich mit ihnen hatte.“ Wir hatten einen guten Deal, ohne dass wir das abgesprochen haben. Ich musste schon immer wieder die Strenge sein, zum Beispiel in die Schule gehen, um Sachen zu klären, aber ich wusste immer, dass die Kinder gut aufgehoben sind.
Ihnen steht ein „Runder“ bevor …
Ich feiere nur Jubiläen, nie das Älterwerden. Unsere Silberhochzeit im Sommer wird ein großes Fest!
Kurz notiert
Rück- und Ausblick
Das Gründerehepaar Renate und Peter Loidolt legte die Leitung der Festspiele Reichenau nach mehr als 30 Jahren nieder, zwei Jahre wurde zuletzt coronabedingt nicht gespielt. Die Festspiele werden nun von der Theater Reichenau GmbH unterm Dach der NÖKU Holding geführt. Geschäftsführerin ist nunmehr Stefanie Pauker, Maria Happel übernahm die künstlerische Leitung.
Das Theater Reichenau startet 2022 mit einem Künstlerfest am 2. Juli bei freiem Eintritt; am selben Tag ist Premiere für „Die Möwe“ unter der Regie von Torsten Fischer, Franz Wedekinds „Frühlings Erwachen“ inszeniert Christian Berkel (3. Juli), bei „Des Teufels General“ (8. Juli) führt Hermann Beil Regie, bei „Ein ungleiches Paar“ Peter Dehler. Auf der Bühne stehen neben Stars wie Sandra Cervik, Martin Schwab, Stefanie Dvorak, Stefan Jürgens oder Mercedes Echerer Studierende des Max Reinhardt Seminars. Hinzu kommen als Familienprogramm „Peter und der Wolf“ und Künstlergespräche.
Infos & Tickets: www.theaterreichenau.at
Maria Happel wurde 1962 im Spessart geboren, nach Engagements in Köln, Hannover und Bremen war sie in den 1990ern am Wiener Burgtheater engagiert und ist – nach Jahren in Berlin – seit 2002 wieder fixes Ensemblemitglied (siehe Foto S. 13). In TV und Film erlebt man sie u. a. in „SOKO Donau“, „Dennstein & Schwarz“, in „Freibad“ (Regie: Doris Dörrie; Kinostart Herbst 2022) und „Die Goldfische“ (Regie: Alireza Golafshan). 2012 veröffentlicht sie ihr Buch „Das Schnitzel ist umbesetzt: Was bisher geschah“, neben ihrer vielfach preisgekrönten schauspielerischen Tätigkeit (zuletzt: Romy 2021 „Beliebteste Schauspielerin/Serie) führt sie Regie und lehrt Schauspiel, seit 2020 ist sie Leiterin des Max Reinhardt Seminars.